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Erbeer-Rhabarberkuchen
Ahh, wie schlimm war sie, wie grausam, die drückende Winterszeit! Wie kurz die Tage, wie trübselig das nasskalte Licht der ermatteten Sonne. Doch nun, ihr Volk, jubiliert, denn der Frühling hat Einzug gehalten und mit ihm all das Grünen und Sprießen - jenes der Pflänzlein und auch das der Gefühle. Der Mai pocht an unsere Pforten, es zwitschern in den Ästen die kleinen vogelîn. Maienzeit - Minnezeit! Zeit, zum Reigen am Anger zu eilen und dort hurtig zur fröhlichen Weise der fahrenden Spielleut zu hüpfen und zu springen. Zeit, um Blumen zu brechen und Kränze zu flechten ...
Doch habt gut acht! Denn nach all den Entbehrungen, die der eisige Winter euch auferlegt, mag euer Körper entkräftet sein und ausgezehrt. Wisst ihr denn mit Gewissheit zu sagen, ob ihr all den Anforderungen gerecht werden könnt, welche die wild jauchzenden Mägdeleyn auch aufzuerlegen gedenken, wenn ihr mit ihnen um den Tanzboden wirbelt oder neben ihnen auf grüner Waldeslichtung ruhend gar das weiche Frühlingsgras knickt?
Damit ihr nicht zu rasch erschöpfen möget bei eurem Tun und Treiben, wollen wir euch hiermit ein Rezeptleyn kundtun, dass euch zu Kräften bringt; wenn dies allerdings nichts mehr fruchten mag bei euch, so grämt euch dessen nicht: Zumindest die Mägdelein werden entschädigt sein ob des süßen und saueren Geschmacks zugleich, der von heimischer Frühlingsbeere rührt und von exotischer, den fernen mongolischen Bergen, dem mythischen Lande Khembalung entstammender Säure ...
Hurtig also an den luftigen Frühlingstraum ...
... und nehmt an Zutaten (wenn denn vier Mägdelein oder ein ordentlich Mannsbild mit acht Häppchen verwöhnt sein wollen :
... erst für den Belag:
... und dann für den Boden (des Kuchens, nicht der Küche!):
Sucht euch also, zum Behelfe beim Backen, das lieblichste Mägdelein, jenes mit den strahlendsten Augen und dem zierlichsten Grübchen am Kinn, denn ihr habt es mit einem Hefeteig zu tun, auf welchselbigen ihr Erdbeeren zu legen habt, jene Beeren, die ihr zuvor im heimlichen Walde oder auf lauschiger Wiese gemeinsam mit eurer, zu diesem Behufe erwählten Gefährtin zu erhaschen trachten müsst, und darob werdet ihr viel Zeit mit ihr zu verbringen haben beim Haschen und Sammeln und Bereiten. Beim Schäkern und Schwatzen ...
Anun ist's genug mit Schwatzen und Schäkern? Auf nun ...
Erst - und darauf achtet recht wohl! - habt ihr, nachdem ihr euch vom anstrengenden gemeinsamen Ernten der Beeren erholt, eben jene Beeren gründlich zu reinigen und zu schneiden. Zudem die, dem von langer Reise heimkehrenden, venezianischen Kaufmann abgehandelten Stängel des Rheum rhabarbarum, des gemeinen Rhabarbers, jener mythischen Pflanze, die bekanntlicherweise nur in den himmelhochragenden Bergen des fernen Ostens gedeihen soll und aus der, will man den Erzählungen manch orientalischer Völker Glauben schenken, das erste Menschenpaar erschaffen wurde.
(Solltet ihr aber einer jener wenigen Unglücklichen sein, die keinen solchen venezianischen Pfeffersack oder Forschungsreisenden zu ihrem Bekanntenkreis zählen, so dürft ihr statt des gemeinen asiatischen Gewächses auch saure einheimische Äpfel oder Birnen um den Preis verlorener Exotik an seiner Statt verwenden ...)
Aber kümmert euch nicht länger um das Geschwätz der heidnischen Perser und Meder. Stattdessen leert zwei oder drei Löffel gehäuften Zuckers über das Feingeschnittene, das ihr dann in abgedeckter Schüssel gut ruhen lasst, damit es dort heimlich und unbeobachtet sein Wasser lassen kann - andernfalls der fertige Kuchenteig später zu sehr dem Moor hinter eurer Burg ähneln würde. Wenn ein Rest vom Zucker verbleibt, so füttert mit jenem das Schnäuzchen des darob kichernden und euch wohlwollenden Mägdeleins mit jenem.
Nun nehmt das Mehl, stäubt schäkernd das Näschen des Mägdeleins und ihre rotglühenden Wangen, gebt den Rest in eine zweite Schüssel, vermengt es dort mit dem Germ (der Hefe!) und noch einem Esslöffel Zucker (ihr habt den doch nicht auch der Magd ...?), sowie dem vorsichtig entschälten Inneren des Eies und der Milch und vergesst auch nicht, eine Prise Salz dazuzugeben. Macht es gut und mit festem Manneshändedruck, damit daraus ein glatter Teig entstehe und sie wohl bewundern kann, wie recht ihr zu kneten und zu drücken versteht!
Zeit für ein Minneschwätzchen. Die Schüssel mit dem Teig deckt ab und lasst ihn dort gut ein Dreiviertel einer Stunde gehen. Preist und rühmt derweil lautstark ihr Haar, vielleicht von der Laute untermalt gar oder von der Fiedel, preist in kunstvoll gedrechselter Reimform das Glitzern ihrer Äuglein, die Geschicklichkeit ihrer Finger und die Zierlichkeit ihrer Füßchen, lobt ihre klug gewählten Bemerkungen, haucht ihr mit minzgetränktem Atem das Mehl aus dem Nacken und was man sonst noch in derley Situation tut.
Die Zeit ist um? Viel zu früh? Seufzt, einmal oder noch ein zweitesmal. Doch dann hurtig, auf dass das Wek vollendet werde: Den Teig knetet noch einmal durch; rollt ihn dann auf holziger Arbeitsfläche aus lasst ihn geschmeidig in ein befettetes Backblech gleiten. Das Mägdlein möge derweil all die kleinen Fliegen und anderen Tierchen geschwinde verscheuchen, die der Geruch der geschnittenen Beeren angelockt und sich hat versammeln lassen. Das überflüssige Wasser soll sie gut abtropfen lassen, danach mögt ihr Rhabarberstückchen und Erdbeeren in vertrauter Zweisamkeit auf dem Teig recht ordentlich verteilen.
Nun ist noch einmal Zeit, um innezuhalten. Um dort fortzusetzen, wo ihr mit dem Hauchen und Preisen geendet habt - denn Teig und Belag brauchen noch eine letzte Gelegenheit zum Besinnen, ein halbes, kurzes Stündlein, das euch noch verbleibt für des Maien Werben ...
Auch diese Frist verstreicht wie im Vogelfluge! Also rafft euch auf, es muss schließlich getan sein: Zuckert den Belag noch etwas nach, mischt ein paar Flöckchen Zucker darein und schiebt das Blech in den feurigen (oder elektrischen, auf 200 - 250° geheizten) Ofen, worin Teig und Belag sich unter ständigem Sichtkontakte der alchemistischen Umwandlung zum sinneverführenden Kuchen unterwerfen mögen.
Doch freut euch nicht über eine weitere Frist. Spätestens jetzt - so leid es uns fällt, euch dies zu enthüllen - wird das Mägdelein ohnehin keine Augen mehr haben für euch und eure Reime, denn alles worauf sich nun ihr Trachten richtet, ist es, euch vom duftenden, fertigen Werke recht viel zu entwenden. Und danach, soferne ihr Trachten gelingt - oh, Undank ist der Welten Lohn -, wird sie dahingehen, gesättigt vom Kuchen und von euren Reimen und gähnend in ihre Kammer entschwinden. Ihr aber bleibt zurück mit nichts mehr als dem leeren Blech, dem schmutzigen Geschirr und ein paar wehmütigen Gedanken ...
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