Sælde und êre - Der Kräutergarten

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Die Lilie

'Les lis ne filent pas'
('Die Lilien spinnen nicht')
(Mittelalterliches französisches Sprichwort)

Die süßduftende Blüte der weißen Lilie ...

'Lilia quo versu candentia, carmine quove
Ieiunae macies satis efferat arida Musae
... '

'Mit welchem Vers oder mit welchem Lied soll die dürftige Kunst meiner nüchternen Muse die schimmernden Lilien hinreichend preisen? Ihr Weiß ähnelt glänzendem Schnee, der verführerische Duft ihrer Blüte gemahnt an die Wälder von Saba. Der Parische Marmor übertrifft nicht die Weiße unserer Lilie, auch übertrifft sie nicht die Narde an Duft, und wenn eine arglistige Schlange mit ihrer angeborenen Hinterlist gesammeltes Gift aus ihrem verderbenbringenden Maul speit und grausamen Tod durch die kaum sichtbare Wunde ins innerste Herz entsendet, dann zerstoße man die Lilie mit schwerem Mörser und trinke den Saft mit schwerem Falerner. Legt man von dem Zerstoßenen auf die blau unterlaufene Bissstelle, so lassen sich zugleich die herrlichen Kräfte des Heilkrauts erkennen. Zudem helfen zerriebene Lilien gegen Lähmung der Glieder. '
(Aus Walahfried Strabo: 'De cultura hortorum' (Über den Gartenbau))

Die Lilie (lat.: Lilium), galt dem christlichen Mittelalter ob ihrer glänzend-weißen Farbe und ihres be- törenden Duftes als Symbol der Unschuld und Reinheit, wodurch sie als Madonnenlilie mit der Jungfrau Maria in Beziehung gebracht wurde. Diese Bedeutung findet sich etwa im Sprichwort 'Die Lilien im Garten sind verwelkt!', womit verlorene Unschuld gemeint ist. Ein Umstand, der übrigens in früheren Zeiten noch bedeutend schwerwiegender als heutzutage empfunden wurde ...

Doch geht die Geschichte dieser Pflanze viel weiter in die Vergangenheit zurück, worüber zahlreiche Funde und Legenden alter Völker Zeugnis ablegen. Erstmalig taucht die Pflanze auf Abbildungen des minoischen Kretas auf, etwa auf jenem berühmten Fresko aus Knossos, das den sogenannten Lilien- prinzen inmitten eines Feldes blühender Lilienpflanzen zeigt. Den Assyrern galt die Lilie als heilig, die auch in Medizin und Kosmetik Verwendung fand. In römischer Zeit stellte sie eine beliebte Garten- pflanze dar, von der mehrere Arten bekannt waren. Dagegen wird im Mittelalter stets nur die weiße Lilie genannt.

Der Lilienprinz, Nachbildung des Reliefs aus Knossos, um 1400 v. Chr. ...

Wie so häufig, haben auch die alten Griechen manch Interessantes über die Lilie zu berichten. So führen sie ihre Entstehung auf den Säugling Herakles zurück, den Sohn des blitzeschleudernden Zeus und der Alkmene. Nichtsahnend hatte sich die göttliche Hera einst den Fehltritt des Gatten zur Brust genommen, woran der - schon in jungen Monaten ein äußerst strammes Bürschlein - so heftig zu saugen begann, dass einige Tropfen der göttlichen Milch in den Himmel spritzten, wo sie sinniger- weise zur Milchstraße wurden, andere wiederum zur Erde fielen, woraus sich die Lilien bilden.

Nun folgt die Hardcore-Fortsetzung in griechischer Mythologie - Jugendliche mögen darum die Seite an dieser Stelle verlassen: Aphrodite nämlich, die Göttin der Liebe und nebenbei leicht eifersüchtig auf jeden und alles, das ihr hätte Konkurrenz sein können, soll sich über die reine Lilie so maßlos ge- ärgert haben, dass sie der Pflanze einen großen Stempel einpflanzte, der an den Phallus eines brüns- tigen Esels erinnert. Deshalb wurde die Lilie dann zum Symbol für gewisse wohlduftende Körperregi- onen der Liebesgöttin dar, die an dieser Stelle nicht weiter beschrieben werden mögen (tut mir leid, liebe Jugendliche). Jedenfalls soll die Madonnenlilie, zu bestimmten Zeiten gesammelt,ein vorzügliches Mittel abgeben um die Liebe einer Frau zu erlangen. (Wann, wird hier selbstverständlich nicht verra- ten ...) In jeder vernünftigen Hexenküche darf die Pflanze somit keinesfalls fehlen, schließlich ist sie eine hervorragende Ingridienz für Liebestränke.

Die zeriebenen Lilienzwiebel sollen Infektionen heilen und die Lilienblätter lassen, mit Honig vermischt und auf dem Gesicht aufgetragen, angeblich Falten verschwinden. Nun ja, wenn die Schicht nur dick genug ist, wird es wohl für einige Zeit stimmen ... Auch sollen sich die Blütenblätter wegen ihres Wohlgeruchs und Aussehens hervorragend als Dekoration für das edle Abendmahl eignen. Doch Vor- sicht! Wenn sie denn versehentlich mitverspeist werden, vermitteln sie nicht nur herb-würzigen Ge- schmack, sondern auch (erwünschte oder unerwünschte?) Nebenwirkungen als Aprodisiacum ...

Möglicherweise stellt Plinius, der die medizinischen Wirkungen der Pflanze beschreibt, das Vorbild für Walahfrieds Schlangenserum dar. Dessen Beitrag ist übrigens ein gutes Beispiel dafür, wie mittelal- terliche Autoren voraussetzten, dass etwa Bibeltexte oder gewisse antike Schriften geläufig waren. Das in Walahfrieds Text genannte Saba war eine im Altertum bekannte, weihrauchreiche Gegend Südarabiens, welche durch den Besuch König Salomons bei der einheimischen Herrscherin in Erin- nerung ist, während der Duft der Narde in der Antike als feinster aller Pflanzen galt.

Zum Abschluss wollen wir noch einmal ein Blick an den Artikelanfang zurückwerfen: Das zitierte fran- zösische Sprichwort, von den Lilien, die nicht spinnen, bezieht sich auf das königliche Lilienbanner, beziehungsweise auf die Bezeichnung Frankreichs als Reich der Lilien. Es meint nichts anderes, als dass die Erbfolge in französischen Landen nur über die männliche Linie erfolgen und die Krone somit nie in weibliche Hand kommen könne. Allgemeiner meint es wohl, dass die männlichen Nachkommen das alleiniges Recht in der Lehnsfolge besitzen ...

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