Sælde und êre - Zelte in der mittelalterlichen Literatur

Die Badehausbeschreibung im 'Herzog Ernst'

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Mittelalterliches Badehaus mit diversen 'Annehmlichkeiten' - französische Illustration, 15. Jhdt.

Kleiner Zwischenraum

Mit dem Einzug frühlingshafter Temperaturen beginnen sich vor unserem inneren Auge endlich wieder Visionen zu entfalten - von sommerlichen Badebesuchen, vom Urlaub in exotischer Fremde mit all den unvermeidlichen bestaunenswerten Sehenswürdigkeiten und den seltsamen Lebensformen und Gebräuchen, die uns dort erwarten werden ...

All das hat uns auch jene Dichtung zu bieten, der wir uns diesmal bedienen wollen, um den vorliegenden Beitrag zu gestalten. Mehr noch: Wir sehen uns darin mit verwandtschaftlichen Streit konfrontiert, mit Verleumdung und mörderischem Totschlag auf der einen, mit Mut, Gottesfurcht und absoluter Treue auf der anderen Seite. Mit vorbildlichen Rittern, die sich nicht scheuen, recht fest dreinzuhauen, wenn es nötig ist, aber auch nicht, die eine oder andere Träne fließen zu lassen, wenn es die Umstände so wollen.

Da findet sich eine Empörungs- und Geächtetengeschichte, in der eine ganze Reihe historischer Ereignisse ihren Eingang gefunden haben, da wird, wie es dem Ideal der Zeit entspricht, das Kreuz genommen und auf bewaffnete Pilgerfahrt gegangen, doch obwohl in Konstantinopel fürstlich empfangen, gelangt man dennoch nie ins Heilige Land. Stattdessen verschlägt ein Sturm Schiffbrüchige und Leser halbverhungert an ferne Küsten, an denen sie sich mit wunderbaren Gegebenheiten und noch viel wundersameren Geschöpfen auseinanderzusetzen haben.

Herzog Ernst (2649ff.)

...
daneben entdeckten sie
einen großen Hof, wohlangelegt,
ausgedehnt und prächtig.
Manch Zedernkrone
fanden sie darin stehen.
Sie begannen näherzugehen
und sahen zwei Quellen,
die aus dem Hof flossen;
die eine war warm, die andere kalt.
So kunstvoll war dies angelegt,
dass sie schön flossen
und lieblich plätscherten,
Seite an Seite.
Daneben stand ein schönes Badehaus,
das zur Gänze
von grünem Marmorstein
überwölbt und verkleidet war
und von starken Schwibögen gestützt wurde.
Wie könnte etwas schöner sein?
Zwei rotgoldene Badewannen
standen in glitzerndem Schein.
Zwei silberne Rohre,
kunstvoll gefertigt,
leiteten das Wasser hinein.
Mit großem Bedacht war das alles erschaffen.
Ob man nun wollte
warmes Wasser haben oder kaltes,
beides führten die Rohre mit Druck
den beiden Wannen zur Genüge zu.
Ein Rohr aus Erz führte
es auf der anderen Seite wieder aus dem Bad,
wie wir vernommen haben.
Es wurde auch weitergeleitet,
durch die ganze Stadt geführt.
Dies geschah mit großem bedacht.
Die Straßen darin,
die großen wie die kleinen,
waren aus Marmorstein,
manche davon grün wie Gras.
Wenn man in der Stadt erwacht war
und dort Sauberkeit wünschte,
dann ließ man sogleich Wasser
durch die ganze Stadt fließen.
So konnten dort
weder Staub noch Unrat bestehn.
In kürzester Zeit
war die ganze Stadt gesäubert.
Ich glaube, es gibt keine Burg
auf erden, die so prächtig ist,
gleißen doch ihre Straßen wie Schnee!
...

Kleiner Zwischenraum

Anmerkungen:

Es ist schon eine recht seltsame Geschichte, die uns im 'Herzog Ernst' dargeboten wird. Seltsam zweigeteilt mutet sie uns an, mit ihrer, in bairisch-deutschen Landen angesiedelten Empörergeschichte auf der einen Seite, die auf diverse Ereignisse der ottonischen Zeit zurückgreift, zugleich aber auch Anklänge an des staufisch-welfische Verhältnisse zu verraten scheint, und dem wundersamen Mittelteil, der an orientalische Erzählungen wie jene, die so listenreich während tausend und einer Nacht widergegeben wurden, aber auch an Schilderungen, wie sie der Westen aus den Schriften des Isidor von Sevillas oder antiken Überlieferungen wie dem Alexanderroman kennt, erinnern.

An die Schnittstelle jener so verschiedenen Erzählteile könnte man wohl jenen Ausschnitt ansiedeln, welchen wir für den vorliegenden Beitrag ausgewählt haben. Zwar soll er sich laut Dichtung bereits im sagenhaften Land Grippia abgespielt haben, dort, wo die Mauern der königlichen Residenzstadt aus buntem Marmorstein bestehen und selbst die Zinnen mit Gold geschmückt sind, und wo die Bewohner anstatt gewöhnlicher Köpfe solche von Kranichen auf ihren ansonst durchaus ansehnlichen Körpern tragen und auch sonst einige Absonderlichkeiten im Verhalten zu bieten haben.

Doch möchte man bei diesen Erzählungen nicht auch an das, dem damaligen Europäer gleichsam wundersam erscheinende Byzanz denken? Oder an jene orientalischen Städte, welche die kreuzfahrenden Herren Ritter im Gefolge ihrer ereignisreichen Reisen ins Heilige Land kennenlernten? Man darf sich die Schilderungen wohl als Kompendium aus (ausgeschmückten) Erlebnisberichten und (über lange Jahrhunderte) überlieferten Wundermärchen denken.

Seltsam mag es uns Lesern auch erscheinen, welche Gelüste den bairische Herzog, nachdem er und seine Gefährten in der vorerst verödeten Stadt ihren Hunger gestillt haben, noch anwandeln. Neugierig will er sich all die Sensationen besehen, welche die fremde Stadt zu bieten hat - ein Drang, den wir sicher zu verstehen vermögen. Zumal er und sein stets treuer Begleiter, der Graf Wetzel, diese Sightseeing-Tour immerhin in voller Rüstung, also in der, den Umständen entsprechenden richtigen Reisemontur absolvieren.

Dass er sich aber im oben geschilderten Badehaus das entspannende Bad nicht verkneifen kann und darob beträchtliche Gefahr auf sich nimmt - immerhin lässt es sich in der Rüstung schwer pritscheln -, verwundert uns vorurteilsbeladene Neuteitliche doch beträchtlich. Schließlich hört man doch allenthalben, dass die Menschen damals das Wasser allenfalls als Mittel zum Stillen des Durstes sahen, dem Baden hingegen kaum etwas Positives abgewinnen konnten. Wohl eine Mär, dieses Vorurteil, ähnlich denen, denen wir in Begleitung des braven Herzoges so zahlreich auf seiner Reise begegnen ...

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