Bestiarium: Der legendäre Phönix
Unser heutiger Stargast im Bestiarium ist wahrlich ein Vielgereister und Prominenter - denn man scheint ihn auf Arabiens Basaren ebenso zu kennen wie im bunten Gewirr von Indiens Plätzen und in den fernen Häfen Chinas; bereits in den Aufzeichnungen des alten Ägypten haben seine Ahnen Spuren hinterlassen, ebenso meinen wir ihn in den fremdartigen Zeichen des Linear B zu erkennen, die uns König Minos Volk hinterlassen hat. Wen wundert es da, dass er nicht nur die Mythen vieler Völker mit seiner Präsenz bereichert, sondern auch allenortens die Phantasie der Märchenerzähler beflügelt ...
Wer so weit reisen kann, dass sein Tun der ganzen Alten Welt bekannt ist, der muss Flügel haben, folgern wir. Und wer Flügel hat, der ist ein Vogel. Genau! Um einen solchen geht es heute. Natürlich ahnt ihr längst, wem sich dieser Beitrag widmet: Es ist der legendäre Vogel Phönix, dessen geheimnisvolles Tun und dessen rare Erscheinungen vielerorts manch Vermutung entfachte. Doch halt, wenn wir jetzt vom Entfachen sprechen, dann greifen wir an dieser Stelle vielleicht ein Stück zu weit vor ...
Wer hat nicht von ihm gehört, dem Prächtigen, dem Stolzen, demjenigen, den unsere mittelalterlichen Vorfahren im Paradies zu Hause wussten, wie schon deren Vorväter im antiken Elysium, dessen Ruf ob seiner etwas eigenwilligen Lebens-, oder sollten wir besser sagen, Ablebensweise? - sogar vielen unserer heutigen Zeitgenossen noch im Ohr klingt, selbst denjenigen, die sich antiker und mittelalterlicher Mythen und Bilder sonst so erfolgreich zu erwehren wissen?
Aber lasst uns, ehe wir uns weiter über seine Physiognomie und sein Verhalten ergehen, erst einmal hören, was uns eine mittelalterliche Kapazität, wie der treffliche Wolfram von Eschenbach über den Phönix zu berichten weiß:
Zurück zur Übersicht Mittelhochdeutsch, zum Anschlagbrett, oder zur Hauptseite
Parzival IX (469 ff.)
....
Dort wohnt eine wehrhafte Schar.
Ich will euch erzählen von ihrer Nahrung.
Sie werden von einem Stein ernährt,
der von ganz reiner Art ist.
Wisst ihr das noch nicht,
so will ich ihn euch nennen:
Er heißt Lapsit exillis.
Durch die Kraft des Steines verbrennt der Phönix,
dass er zu Asche wird:
Die Asche gebiert ihm aber neues Leben.
So mausert sich der Phönix
und erstrahlt danach in so hellem Schein,
dass er genauso schön wird wie zuvor.
....
Parzival IX (469 ff.)
....
Dâ wont ein werlîchiu schar.
ich wil iu künden umbe ir nar.
si lebent von einem steine:
des geslähte ist vil reine.
hât ir des niht erkennet,
der wirt iu hie genennet.
er heizet lapsit exillîs.
von des steines craft der fênîs
verbrinnet, daz er ze aschen wirt:
diu asche im aber leben birt.
sus rêrt der fênîs mûze sîn
unt gît dar nâch vil liehten schîn,
daz er schoene wirt als ê.
....
Anmerkungen:
Recht viel über die Gestalt des Phönix erfahren wir ja nicht, dafür aber schon Einiges, was sein wunderliches Verhalten betrifft, nämlich dem, aus der eigenen Asche zu neuer Jugend und zu frischem Glanz wiederzuerstehen, womit wir doch recht rasch beim Entflammen angelangt wären. Gemeinhin ist es auch diese Eigenheit, die wir mit dem Wundervogel verknüpfen, nicht jedoch die Tatsache, dass es der wundertätige Stein ist, der lapsit exillîs, als den Wolfram den Gral schildert, was seine eigene originäre Ausdeutung darstellt. (Nebstbei erwähnt, sollte es nicht verwundern, dass der Gral seine wahre Gestalt mehr verschleiert als enthüllt, je mehr wir n verschiedenen Stellen über ihn zu erfahren wünschen - schließlich hat ihn kaum einer der Autoren, die über ihn berichten, je selbst in Händen gehalten. Aber das ist wieder ein ganz andere Sache ...)
Zurück also zum Phönix, um den es uns hier gehen soll: Notieren wir also aus Wolframs Bericht, dass er auch an der oben geschilderten Stelle eng mit dem Göttlichen verbunden ist. Schließlich ist der Gral ein von Gott selbst in die Welt gesandtes Objekt. Suchen wir nach einer Ähnlichkeit zu Fremdentzünden, findet er sich vielleicht am ehesten in jenem Mythos, der davon berichtet, wie Adam und Eva vom strafenden Engel aus dem Paradies vertrieben werden und wie dabei ein Funke vom Feuerschwert das Nest samt unseren bedauernswerten Wundervogel in Schutt und Asche legte - sozusagen der erste Kollateralschaden der Weltgeschichte ...
Gemeinhin verbinden wir mit dem Phönix, jedoch seine Eigenart, sich dann, wenn in die Jahre gekommen, ein Nest aus duftenden Kräutern und Hölzern zu bauen, vorzugsweise auf einer Palme (deren griechische Bezeichnung phoinix gleichlautend mit der des Vogels selbst ist) und sich dort flügelschlagend mit den Strahelen der aufgehenden Sonne selbst in Brand zu setzen, um anschließend aus der Asche erneuert in aller Jugendfrische wiederzuerstehen. Alle fünfhundert Jahre soll das geschehen, nach manchen Quellen auch nur einmal im Millenium, oder, wie Tacitus erwähnt, gar nur alle 1461 Jahre.
Aber hören wir, was uns Isidor von Sevilla in seiner Enzyklopädie, in der er sich auch kompetenter Vogelkundler zu erkennen gibt, über den Phönix, zu berichten weiß: 'Phoenix ist ein Vogel Arabiens, so benannt, weil er von phönizische Farbe ist oder aber weil er der ganzen Welt einzig und einmalig ist. Denn die Araber meinen mit phoenix einzigartig. Diese leben länger als 500 Jahre, und wenn er alt zu werden scheint, stürzt er sich, nachdem er Gewürzzweige gesammelt hat, auf den Scheiterhaufen, und nährt, flügelschlagend zu den Strahlen der Sonne gewandt, freiwillig sein Feuer und erhebt sich wiederum aus der Asche.'
Wen wundert es, dass der Phönix mit solchem Tun und der anschließenden Wiedergeburt zu neuem Glanz dem christlichen Mittelalter zum Symbol für den freiwillgen Tod Christi, als dessen Bild er auch im für das Mittelalter so bedeutsam werdenden Physiologus (dessen Entstehung zwischen ca. 200 - 400 n.Chr fällt) erscheint, für Wiederaufstehung und Unsterblichkeit wurde? Sein Aufenthaltsort ist nach dem frühchristlichen Autor Lactantius, der ihm ein Gedicht widmet, ein fernes, hochgelegenes Paradies im Osten, dem Himmelstor nahegelegen, dessen Zentrum der Brunnen mit dem Wasser des Lebens bildet, der zwölfmal im Jahr ausbricht.
Der Phönix dient dort dem Phoebus durch seinen Gesang. Alle 1000 Jahre muss er die gute Paradiesstube verlassen, um sich zu erneuern; zu diesem Zwecke fliegt er nach Phönizien, wo er dann die Vorbereitungen für seine Vejüngen trifft (welch Aussichten wären das für unsere moderne Schönheitsmedizin!), indem er auf der bereits erwähnten Palme sein Nest aus aromatischen Kräutern baut. Nach getaner Metamorphose am syrischen Zwischenstopp setzt er seinen Flug mitsamt der Überreste seines alten Körpers nach Heliopolis in Ägypten fort. Dort zeigt er sich einmalig den Menschen, ehe er wieder für das nächste Jahrtausend in die Heimat zurückkehrt.
Weiter zurückreichende antike Quellen lassen hingegen aus der Asche des verblichenen Altphönix erst ein Würmchen, dann ein Küken und schließlich den Jungphönix erstehen, der anschließend die Überreste seines Vaters ins erwähnte Ägypten überführt, um dort für dessen angemessene Bestattung zu sorgen. Und weil wir nun schon einmal in Ägypten sind, wollen wir kurz noch auf die ersten bekannten Qeullen eingehen, die wir über den Phönix kennen - besser, über seinen Vorfahren, den 'bnw', der - erraten! - in Heliopolis verehrt wurde.
Er, der als Erscheinungsform des Re, aber auch des Osiris galt, trat ursprünglich als eine Art Bachstelze auf, die aus den Urgewässern hervorkam, und wandelte sich später in einen Reiher, der auf dem heiligen Weidenbaum erschien. Verbrennt und aus der Asche neuerstanden ist er diesen seinen frühen Jahren übrigens noch nicht. In China findet sich wiederum mit dem Fenghuang ein Wesen, das gewisse Eigenarten mit unserem Phönix teilt (etwa die Lebensspanne von 1000 Jahren) - wenn auch dort als fasanen- oder pfauenähnlich geschildert.
Mittelalterliche Schriften, wie das Aberdeen Bestiarium, aus dem obige Abbildung stammt, stellen in wiederum gerne raubvogelhaft, in Form des Falken oder des Adlers dar - wenngleich er sich doch streng vegetarisch und da nur von auserwähltem Grünzeug, ernährte. Oder doch nicht? Wissen doch einige der zahlreichen Märchen unserer neueren Zeit davon zu berichten, dass er hin und wieder eine Portion zarten Menschenfleisches nicht verschmähte - als Gegenleistung für seine zauberkräftigen Schwanzfedern, die es zu ergaunern galt, um ein Jungfräulein zu gewinnen ...
Warum, fragt ihr jetzt, sind seine Beschreibungen so unterschiedlich? Sollte es den Phönix in Wirklichkeit vielleicht gar nicht geben? Unsinn! Was erwartet ihr euch denn für Beschreibungen, wenn der Wundervogel nur alle 500 oder gar 1000 Jahre kurz einmal auftaucht; klar dass sich später keiner mehr so recht an sein Aussehen erinnern kann. Zweifelt also nicht an der Existenz eines Wesens, über das solch Kapazitäten wie Ovid und Plinius (der Ältere), Tacitus und Isidor zu berichten wussten. Ihr müsst nur lange genug aushalten, um euch eines Tages mit eigenen Augen zu überzeugen ...
Zurück zur Übersicht Mittelhochdeutsch, zum Anschlagbrett, oder zur Hauptseite
© 2014, Gestaltung und Inhalt: H. Swaton - alle Rechte vorbehalten