Nu fliuc hera, bina ...
Wer denn von euch regelmäßig unsere Seite besucht und gar noch den einen oder anderen Artikel dabei liest, dem wird nicht entgangen sein, dass wir uns häufig an alten Texten versuchen; darum wir die Arbeitsgruppe ja auch als die mittelhochdeutsche bezeichnen. Doch diesmal (und hin und wieder auch fürderhin) wollen wir den Rahmen etwas ausdehnen und in der Zeit weiter zurückschreiten. Zu den Vorstufen des Mittelhochdeutschen, in jene Epochen in denen in unseren Gegenden von den Alten - nun was? - Althochdeutsch natürlich gesprochen wurde.
Warum sich das antun, fragt ihr jetzt? Wo es doch verhältnismäßig wenige Quellen fürs Althochdeutsche gibt, es noch schwerer zu verstehen ist als das Mittelhochdeutsche, und außerdem sowieso keiner mehr lebt, mit dem man darin parlieren könnte? Nun, einerseits finden wir, dass diese vergangene Form unserer Sprache (laut gesprochen) ungleich melodischer in unseren Ohren klingt als unser heutiges 'hartes' Deutsch. Schon darum lohnt es sich, einmal hinzuhören. Und manches lässt sich ganz gut verstehen, wenn man gewisse Eigenheiten der damaligen Schreibung kennt. Ein schönes Beispiel dafür ist unser heutiger Gast, der 'Lorscher Bienensegen' - der, im Lichte der aktuellen Bienen- und Pestiziddebatte, durchaus Aktualität besitzt.
Zuvor, ehe wir dem Segen lauschen, wäre vielleicht noch genauer zu definieren, was denn unter Althochdeutsch eigentlich zu verstehen ist (ja, an dieser Stelle zugeben, dass es 'das Althochdeutsche' gar nicht gegeben hat, sondern nur eine Reihe von Dialekten, die sich über längere Zeiträume hinweg aus verschiedenen westgermanischen Sprachen durch die sogenannte zweite Lautverschiebung gebildet haben); egal, hier ist jetzt nicht der Raum dafür. Nur soviel: Gemeinhin datiert man den Beginn des Althochdeutschen um die Mitte des 8. Jahrhunderts und lässt es - nach und nach - in die Mitte des 11. Jahrhunderts und ins Mittelhochdeutsche (von dem auf dieser Seite ja eine ganze Menge von Beispielen zu finden sind) ausklingen.
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Lorscher Bienensegen
Christus, der Schwarm ist draußen!
Nun flieg, mein Tier, herbei.
Im Frieden und im Schutz Gottes,
komme gesund heim.
Sitz, sitz, Biene:
Das gebot dir die heilige Maria.
Du hast keine Erlaubnis,
ins Holz flieg nicht;
weder entrinnst du mit,
noch entweichst du mir.
Sitz ganz still,
wirke Gottes Willen.
Lorscher Bienensegen
Kirst, imbi ist hucze!
nu fluic du, uiha minaz, hera
fridu frono in munt godes!
gisunt heim zi comonne.
sizi, sizi, bina:
inbot dir sancte maria.
hurolob ni habe du:
zi holce ni fluc du,
noh du mir nindrinnes,
noh du mir nintuuinnest.
sizi uilo stillo,
uuirki godes uuillon.
Anmerkungen:
In seiner Form erinnert der Bienensegen, bei dem es sich um einen Segensspruch in althochdeutscher Sprache aus dem 10. Jahrhundert handelt, noch an heidnisch-germanische Zauber- und Beschwörungssprüche - man denke dabei etwa an die berühmten Merseburger Zaubersprüche. Seine Bezeichnung verdankt er dabei seinem ursprünglichen Aufbewahrungs- und wohl auch Entstehungsort, dem Kloster Lorsch.
Beginnend mit Langversen, die alte und neue Formen mischen (wie stabreimende Doppelformen - fridu frono -, Alliterationen und Endreime), wird der Schwarm, der ausgeflogen ist (wohl eher ist das ganze Volk gemeint, denn die einzelne Biene), durch steigende Autoritäten beschworen, nicht das Weite zu suchen - nicht unverständlich, waren doch die Besitzrechte an solchen ausgeflogenen Schwärmen sehr umstritten - beziehungsweise wieder heimzukehren.
Zuerst ist's der Imker selbst (... mein(e) Tier(e) ...), danach die Jungfrau Maria, die diese Gebote/Verbote aussprechen - wobei es hier wiederum interessant wäre, eine genauere Betrachtungsweise anzustellen, zwischen dem Idealbild der mittelalterlichen (Jung-)Frau und den Bienen, die deren Idealbild in gewisser Weise verkörpern - sind sie doch genüg- und arbeitsam, reinlich, jungfräulich. Soviel Raum bleibt uns hier aber nicht, um uns diesen Zusammenhängen zu widmen. Also zurück zum Segen: Zuletzt, in gleichlaufenden Kurzzeilen, ersetzt Gottes Wille als oberste Instanz den ursprünglichen Zauberkundigen heidnischer Beschwörungen.
Der Autor des Bienensegens - der den Beginn einer breiten Tradition von (Bienen-)Segenssprüchen darstellt, wird wohl ein Mönch des Klosters Lorsch gewesen sein, der den Spruch nachträglich im 10. Jahrhundertauf einer Seite der Visio St. Pauli, einer Handschrift aus dem 9. Jahrhundert, nachgetragen hat. Übrigens kopfüber ...
Zur besseren Verständlichkeit:
Althochdeutsche Texte liegen hinter einem noch ferneren Zeithorizont als mittelhochdeutsche. Dennoch muss ihre Verständlichkeit nicht in allen Fällen geringer sein - schließlich fehlen etwa die vielen später populären französischen Lehnwörter oder die Wortkreationen eines Wolfram von Eschenbach.
Überraschend viele Wörter verstehen wir sofort (zumindest - psst, nicht verraten! - wenn die Übersetzung daneben steht). Weiß man dazu noch, dass das uu als w zu lesen und auszusprechen ist (im Englischen heißt das w ja immer noch 'double u'), dann wird aus 'uuirki' wirki (Wirken) und aus 'uuillon' willon (Wille). Das u am Wortbegin wird zum v - 'uiha' zu viha (Vieh, Tiere), 'uilo' zu vilo (viel). Und mit dem vorgesetzten n als Negation kann man 'nindrinnes' relativ leicht als 'nicht entrinnest' identifizieren, 'nintuuinnest' als 'nicht entwindest/entweichst' ... laienhaft ausgedrückt :-)
So, und nun nicht länger gezögert - raus mit euch ins Freie und fleißig geübt; wenn ihr's richtig aussprecht, werden sie euch anschwärmen, dass es euch nur so summen wird im Kopf ...
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