Ich zoch mir einen valken ...
Das berühmte Falkenlied des Kürenbergers gehört wohl zu den bekanntesten mittelhochdeutschen Texten. Der Autor, der von Kürenberg, dürfte aus dem bayrisch-österreichischen Raum stammen bzw. dort gewirkt haben und gilt als der erste namentlich bekannte Minnesänger deutscher Zunge. Das Lied, das möglichen Interpretationen einige Freiräume offenlässt, dürfte in der Zeit um das Jahr 1160 entstanden sein.
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Ich zog mir einen Falken ...
Ich zog mir einen Falken
länger als ein Jahr.
Nachdem ich ihn mir gezähmt,
wie ich ihn haben wollte,
und ihm sein Gefieder
mit Gold wohlgeschmückt,
erhob er sich hoch in die Lüfte
und entflog in fremdes Land.
Seither sah ich den Falken
schön fliegen.
er führte an seinem Fuße,
seidene Riemen,
und sein Gefieder
war ganz rotgold.
Gott sende sie zusammen,
die gerne geliebt wollen sein.
Ich zoch mir einen valken ...
Ich zoch mir einen valken
mere danne ein jar.
do ich in gezamete
als ich in wolte han
und ich im sin gevidere
mit golde wol bewant,
er huop sich uf vil hohe
und floug in anderiu lant.
Sit sach ich den valken
schone fliegen:
er fuorte an sinem fuoze
sidine riemen,
und was im sin gevidere
alrot guldin.
got sende si zesamene
die gerne geliep wellen sin!
Interpretation:
Obwohl auf den ersten Blick von eindeutigem Inhalt, bietet das Falkenlied des Kürenbergers doch einigen Raum zur Interpretation.
Der Autor, der von Kürenberg, wird dem frühen donauländischen Minnesang zugerechnet. Formal sind seine Lieder in dem nach ihm benannten Kürenbergerton gehalten; diese Form stimmt metrisch mit der Strophenform des Nibelungenliedes überein. Auf Grund dieser Tatsache wurde der Kürenberger zeitweise sogar der Autorenschaft am Nibelungenlied verdächtigt - eine Annahme, die jedoch als widerlegt gilt.
Über die inhaltliche Bedeutung des Liedes gibt es einige unterschiedliche Auffassungen. Am wahrscheinlichsten scheint die Deutung, dass wir es mit der Klage einer Dame um ihren ungetreuen Liebhaber, der sie verlassen hat, zu tun haben. Schließlich erscheint der Falke in der mittelalterlichen Literatur häufig als Symbol für den Geliebten. Sollte diese Deutung zutreffen, ist das Lied der Gruppe der sogenannten Frauenlieder oder Frauenklagen zuzurechnen. Nicht auszuschließen ist aber auch eine Umkehrung der Rollen, wodurch es dann ein Mann wäre, der die Rolle des Verschmähten zu erleiden hat.
Gelegentlich ist das Falkenlied auch als sogenanntes Brautlied gedeutet worden. Nach dieser Auffassung beklagt ein Vater den Verlust seiner Tochter, die durch Heirat ihr Heim verlässt und einem neuen Besitzer und Heger zufliegt.
Die vordergründigste Interpretation, dass tatsächlich ein entflogener Falke beklagt wird, scheint hingegen durch den Überlieferungs- hintergrund auszuschließen zu sein: In den Handschriften findet sich das Falkenlied immer zusammen mit Minneliedern, also Liedern, welche die Liebe thematisieren.
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