Sælde und êre - Mittelhochdeutsche Originaltexte

Ich hân mir sélber gemachet die swaere

Rudolf von Fenis; Abbildung aus dem Codex Manesse

Selber schuld; was hängt er sich auch an eine solche hochnäsige Gans, möchte man da fast sagen und ein wenig schadenfroh grinsen. Oder tief im Herzen dem Dichter Mitleid zollen, für die tiefen Einblicke, die er in die Minne und in die Psyche der Frauen machen musste. Oder durfte. Denn seien wir ehrlich: Wir alle können doch mit ihm fühlen. Denn wer hatte sie nicht, dieselben Erfahrungen, vielleicht in fernen Jugendtagen, dass man für die eine, die man anhimmelte, bestenfalls ein unsichtbares Lüftchen war; die andere hingegen, das Mauerblümchen, jedesmal wenn sie unserer gewahr wurde, uns unter dem Gelächter mitfühlender Freunde mit seligem Lächeln und zartem Erröten begrüßte ...

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Dieses Leid habe ich mir selbst angetan

Dieses Leid habe ich mir selbst angetan,
dass ich die begehre, die nichts wissen will von mir,
die aber, die mir zugetan wäre,
die fliehe ich, da sie mir nicht gefällt.
Ich werbe um die, die's mir nicht gestatten will.
Mich dagegen liebt die, die mir nichts bedeutet.
Darum kann ich beides: fliehen und jagen.

Ach, dass ich die Liebe nicht kannte,
ehe ich mich an sie verlor.
Sonst hätte ich mich meine Sinne von ihr abgewendet,
da ich sie nicht nach meinem Willen haben kann.
So strebe ich nach törichter Hoffnung
und fürchte, dass mir große Not daraus entstehe.
Den Kummer habe ich mir selbst angetan.

Ich hân mir selber gemachet die swaere

Ich hân mir selber gemachet die swaere,
daz ich der ger, diu sich mir wil entsagen.
diu mir zerwerbenne vil lîhte waere,
diu fliuhe ich, wan si mir niht kan behagen.
Ich minne die, diu mirs niht wil vertragen.
mich minnent ouch, die mir sint doch bormaere.
sus kan ich wol beide, fliehen und jagen.

Owê, daz ich niht erkande die minne,
ê ich mich hete an si verlân!
sô hete ich von ir gewendet die sinne,
wan ich ir nâch mînen willen niht hân.
sus strebe ich ûf vil tumben wân.
des vürhte ich grôze nôt gewinne.
den kumber hân ich mir selber getân.

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Anmerkungen:

Doch halt. Denn das, was uns da so humorvoll erscheint beim Lesen, dem wirklichen Leben entnommen, und uns spätestens dann, wenn wir vernehmen, dass der Autor beides zu vollbringen hat - die eine zu fliehen und die andere zu jagen -, ein lautes Lachen entlockt, das hatte wohl einen ernsten Hintergrund. Gilt doch der Dichter dieser Zeilen, die uns etwa die Manessische Liederhand- schrift erhalten hat, als Vertreter der Hohen Minne. Und Hohe Minne, das haben wir gelernt, ist stets etwas, das mit Leid und Ver- zicht zu tun hat, kaum jedoch mit Humor und befreitem Lachen.

Also kein Erfahrungsbericht aus dem eigenen Erleben, den uns der Autor hier liefert? Sondern vielmehr eine stilistische Übernahme aus der grand chant courtois, der höfischen Kanzone Frankreichs, deren Ursprünge in die provenzalische Literatur zurückreichen, aus der sie um 1150 übernommen wurde? Denn der Grundgedanke unseres Gedichtes, dass der Liebende selbst schuld ist an sei- nem Leid (oder, wie's der heutige Volksmund, vielleicht etwas weniger prosaisch, ausdrücken würde: 'Waun a so deppat is; was hängt er si a an die blede Blunz'n!') und dass man immer das begehrt, was nicht (leicht) zu haben ist, war nämlich den Trobadors und vor ihnen schon Ovid eine bekannte Tatsache. Und zumindest Letzteres wissen ja auch all jene, die mit Kindern gesegnet sind.

Tatsächlich nimmt Rudolf in seinem Werk immer wieder Bezug auf Foulquet de Marseille, einem südfranzösischen Trobador, der später als Abt und sogar Bischof von Toulouse geistliche Karriere machte - nun damals, wahrscheinlich kein Gegensatz. So finden sich bei bei besagtem Foulquet die Zeilen '... sie (die Minne) reizt zu erobern, was sich mir entzieht. Was mich verfolgt, das fliehe ich, und was mich flieht, dem folge ich, .... . denn es geschieht mir, dass ich zugleich verfolge und fliehe.'

So ist unser Autor wohl als Vermittler zu verstehen, der - sicherlich begünstigt durch die geografischen Gegebenheiten seiner Her- kunft - dabei mithalf, provenzalisch-französische Einflüsse dem deutschen Sprachraum zu öffnen. Reichte doch das Kulturgefälle (oui, wir geben's hier nicht gerne zu) schon damals von West nach Ost und ähnlich wie wir heute unsere kulturellen Impulse vor- wiegend den amerikanischen Fernsehserien und amerikanisch beeinflusster Musik entnehmen ('Ey, jo, Mann ...'), galt damals alles Französische als Vorbild.

Und was gibt's nun über unseren Minnesänger noch zu sagen? Nur soviel: Rudolf gehörte dem Geschlecht der Neuenburger an; dieses Geschlecht hatte seinen Stammsitz am Bielersee, der im Westen der heutigen Schweiz liegt. Das Herrschaftsgebiet der Herren von Neuenburg umfasste dabei sowohl deutsch- und französischsprachige Gebiete, daher wohl seine Kenntnis französisch- sprachiger Autoren. Unser Dichter wird gemeinhin mit Rudolf II von Neuenburg-Fenis gleichgesetzt, der zwischen 1158 und 1192 urkundlich erwähnt und spätestens 1196 gestorben ist. Unter der Bezeichnung Rudolf von Fenis sind uns von ihm insgesamt acht Lieder überliefert, die alle von einer engen Kenntnis romanischer Lyrik zeugen.

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