Iwein - Prolog und Schluss
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Das Begriffspaar sælde und êre umfasst, am Beginn und am Ende stehend, Hartmann von Aues höfischen Roman Iwein (zu Handlung und Autor) wie eine große Klammer. Der Text wird dadurch als sinngebende Anleitung für ritterliches Dasein interpretierbar: Wer stets nach dem wahren Guten strebt, dem folgen Glück und Ehre.
Die beiden Begriffe sælde und êre, von großer Bedeutung für das adelige Selbstverständnis, sind dabei umfassender zu verstehen als ihre neuhochdeutschen Entsprechungen: Der Begriff der sælde bezeichnet ein Lebensgefühl und resultiert aus der Überzeugung des ritterlichen Kriegers durch Stand und Tugendhaftigkeit ausgezeichnet und zu großen Taten berufen zu sein: Sæelde ist nicht Glück in unserer modernen Bedeutung, sondern durch Gott bewirktes Heil, das durch das eigene Verhalten verdient werden kann.
Unter der Bezeichnung der êre vereinen sich eigentlich zwei Begriffe - jener des Ansehens, das der Ritter in der Gesellschaft genießt, und das er stets zu erhalten oder zu mehren sich bemühen muss und jener der tugendhaften Haltung, die er stets einzunehmen hat. Diese letztere Bedeutung ist es beispielsweise, die noch in unserem Ausdruck des 'Mannes von Ehre' zur Geltung kommt, während der Ausspruch 'jemandem die Ehre erweisen' die erste Bedeutung reflektiert.
So ist es auch häufig 'Ehrverlust' (dem konsequenterweise der Verlust von sælde folgen muss), der in den höfischen Romanen den Helden aus den Reihen der Artusritter sondert und ihn zu einer Reihe von Abenteuern zwingt, durch deren glückliches Bestehen er schlussendlich wieder Aufnahme findet. Dass diese Abenteuerfahrten sich aber nicht nur in einer Reihe von Kämpfen erschöpfen, sondern auch zu einer inneren Reifung des Protagonisten führen, und dass umgekehrt die Erfüllung der gestellten Aufgaben erst mit dem Erreichen der notwendigen inneren Tugend möglich wird, macht diese Werke so interessant.
Iwein - Prolog und Schluss
Wer auf das wirklich Gute
all sein Trachten richtet,
dem fallen Glück und Ehre zu.
Darüber gibt uns gewisslich Lehre
der edle König Artus,
der mit Ritters Sinn
nach Ruhm zu streiten verstand.
Er hat zu seiner Zeit
so vorbildlich gelebt,
dass er die höchsten Ehren
genoss, einst und heute.
Dies bestätigen
seine Landsleute:
sie glauben, er lebe noch heute.
Er hat sich Ruhm erworben,
und wenn er selbst auch gestorben ist,
so lebt doch für immer sein Name.
Der ist von schimpflicher Schande
für immer frei,
der nach seinem Vorbild handelt.
.........
.........
.........
Ein gutes Leben war da zu erwarten.
Ich weiß nicht wie es oder was
ihnen beiden seitdem geschah.
Dies wurde mir nicht beschieden
von jenem, von dem ich die Geschichte habe.
Darum kann ich auch darüber
euch nicht mehr sagen
als: 'Gott gebe uns Glück und Ehre'.
Iwein - Prolog und Schluss
Swer an rehte güete
wendet sîn gemüete,
dem volget sæelde und êre.
des gît gewisse lêre
künec Artûs der guote,
der mit rîters muote
nâch lobe kunde strîten.
er hat bî sînen zîten
gelebet alsô schône
daz er der êren krône
dô truoc und noch sîn name treit
des habent die wârheit
sîne lantliute:
sî jehent er lebe noch hiute:
er hât den lop erworben,
ist im der lîp erstorben,
sô lebet doch iemer sîn name.
er ist lasterlîcher schame
iemer vil gar erwert,
der noch nâch sînem sîte vert.
.........
.........
.........
es was guot leben wænlich hie:
ichn weiz waz ode wie
in sît geschæhe beiden.
ezn wart mir niht bescheiden
von dem ich die rede habe:
durch daz enkan ouch ich dar abe
iu niht gesagen mêre,
wan got gebe uns sælde und êre.
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Autor und Handlung:
'Ein Ritter, der gelehrt war und in Büchern las und der, wenn er seine Zeit für nichts Besseres verwenden konnte, auch dichtete, der bemühte sich um das, was man gerne hören mag. Er wurde Hartmann genannt und war von Aue, er hat diese Geschichte gedichtet.'
So stellt sich Hartmann von Aue im Prolog seines höfischen Romans Iwein selbst vor. Hartmann gilt als Begründer des deutschen Artusromans - um 1185 schuf er den Erec nach der Vorlage von Chrétien des Troyes - und neben Wolfram und Gottfried als einer der drei Klassiker des mittelhochdeutschen höfischen Romans. Neben 18 Tönen sind noch die beiden Legendenerzählungen Gregorius und Der arme Heinrich überliefert.
Der Iwein entstand vermutlich um 1200, wiederum auf einer französischen Vorlage Chrétiens beruhend. Die Handlung des Romans besteht aus zwei Zyklen, in denen der Artusritter Iwein Minne und Herrschaft gewinnt und - nach derem Verlust - wiedergewinnen muss.
Iwein hört am Artushof eine Erzählung von einem geheimnisvollen Brunnen im Wald und dessen Wächter. Er macht sich auf und muss dort einen furchtbaren Zweikampf mit dem Herrn des Landes, Askalon, bestehen. Nachdem er diesen getötet hat, erringt er durch die Hilfe der Lunete die Minne ihrer Herrin Laudine, der Frau des Erschlagenen. Sie wird seine Frau und Iwein damit zum neuen Wächter des Brunnens. Damit ist der erste Zyklus abgeschlossen und Iwein hat alles erreicht, was zu erreichen ist: Ansehen, Frau und Landesherrschaft.
Doch die Ehre erfordert, dass sich der Ritter nicht 'verliegt', sondern auch seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkommt. So nimmt er für ein Jahr Urlaub und zieht mit Freund Gawain zum Turnieren. Dort jedoch übersieht er die abgemachte Frist und wird von Lunete im Auftrag ihrer Herrin Laudine verflucht. Iweins Fristversäumnis kommt einem Vertragsbruch gleich und er hat somit jegliches Anrecht auf Laudine und Landesherrschaft verloren.
Dieser Ehrverlust durch eigenes Versäumnis lassen Iwein in den Wahnsinn verfallen - er flüchtet vom Artushof in die Wildnis - ohne Bewusstsein seiner selbst. Erst die Wundersalbe einer Fee kann ihn heilen. Nun beginnt der zweite Zyklus, auf dem er wiederum eine Reihe von Abenteuern zu bestehen hat. So rettet er einen Löwen vor einem Drachen und wird fortan, vom Tier begleitet und unterstützt, zum Löwenritter.
Zufällig führt ihn sein Weg zurück zum Brunnen, wo er in einem Gerichtszweikampf die angeklagte Lunete retten kann, jedoch erst, nachdem er zuvor in höchster Zeitnot einen Riesen besiegen muss - ironischerweise ist er nun in der Lage, seine Termine einzuhalten. Zurückgekehrt an den Artushof hat er noch einen Zweikampf mit dem besten Artusritter Gawein zu bestehen, der erst endet, als sich die Freunde erkennen.
Nachdem nun Iwein durch viele Taten im Dienste Schwacher und Hilfebedürftiger seine Ehre wiedergewonnen hat, gilt es nun die Minne Laudines zurückzugewinnen. Dies gelingt schleißlich nur durch eine List der Lunete: Laudine verzeiht Iwein und sie erneuern Liebe und Ehe, sælde und êre sind endgültig zu Iwein zurückgekehrt.
Der Text folgt dem klassischen Doppelschema: Im ersten Zyklus gewinnt Iwein Ehre, die Liebe Laudines und die Landesherrschaft, die er allesamt in der selbstverschuldeten Krise wieder verliert. Im anschließenden zweiten Zyklus muss er durch erneute ritterliche Taten und einem gleichzeitig stattfindenden Entwicklungsprozess beweisen, dass er nun der Auszeichnung würdig ist.
Fünfzehn erhaltene Handschriften und siebzehn Fragmente zeugen von der Beliebtheit des Iweinstoffes, auf den bereits die mittelalterlichen Dichterkollegen vielfach Bezug nehmen (wie beispielsweise Wolfram in seinem Parzival).
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