Dem Latein viel geschuldet: Sprachmischungen, Teil 1
Die deutsche Sprache, insbesondere aber auch ihre Schriftlichkeit, schuldet dem Latein viel. Speziell in der Frühzeit, in der Epche, in der sich das altdeutsche Idiom aus den germanischen Dialekten herausbildet, ist dies deutlich ersichtlich. Man braucht aber gar nicht bis in die grauen Jahrhunderte zurückgehen, in denen mit den Merseburger Zaubersprüchen etwa oder dem Hildbrandslied germanische Glaubensvorstellungen und Heldenstoffe niedergeschrieben wurden, um dies zu erkennen. Auch später noch finden sich Deutsch und Latein häufig in trauter Zweisamkeit vereint. Sei dies nun im Text selbst, wie in unserem ersten Beispiel oder als Zusatzstroph bzw. als Anhang zum eigentlichen Text, wie dies beim zweiten angeführten Beispiel, dem bekannten 'Dû bist mîn' der Fall war.
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Liebesgruß aus dem Ruodlieb
Sie sprach: 'Sag ihm von mir aus treuem Herzen,
soviel an Liebem wie an Bäumen Laub wächst,
und wievel der Wonnen der Vögel sind,
soviel sag ihm von meiner Minne,
auch wieviel an Gras und Blumen sind, sag ihm an Ehren.
Liebesgruß aus dem Ruodlieb
Dixit: 'Dic illi de me de corde fideli
tantundem 'liebes', quantum veniat modo 'loubes',
et volucrum 'wunna' uot sunt,
sibi dic mea 'minna',
graminis et florum quantum sit, dic et
honorum.'
Anmerkungen:
Die oben angeführte Textstelle stammt aus dem lateinischen Ruodlieb, dem ältesten bekannten Roman aus dem Mittelalter, dessen Entstehungszeit ins 11. Jahrhundert zurückgeht. Es ist die Zeit, in der die Lösung vom Latein sich langsam zu vollziehen beginnt. Dies zeigt sich durch die Verwendung deutscher Reimpaare, denen aber wieder mittellateinische Formeln folgen, die auf antike Vorbilder zurückweisen.
Eine Dame bestellt ihrem Liebhaber den angeführten Liebesgruß über einen Boten aus. Interessant ist die Verwendung (mittel-)hochdeutscher Ausdrücke innerhalb des mittellateinischen Textes. So finden sich neben dem Laub mit minna, liebes und wunna auch drei Schlüsselwörter der späteren Minnelyrik wieder.
Du bist mein
Du bist mein, ich bin dein,
dessen sollst du gewiss sein.
Du bist eingeschlossen in meinem Herzen.
Das Schlüsselchen ist verloren,
darum musst du immer drinnen bleiben.
Dû bist mîn
Dû bist mîn, ich bin dîn,
des solt dû gewis sîn.
dû bist beslozzen in mînem herzen.
verlorn ist das slüzzelîn,
dû muost immer drinne sîn.
Dem (hoffentlich) geneigten Leser, der eben die zweite Textstelle überflogen hat, wird sich an dieser Stelle vermutlich die Frage aufdrängen, was denn nun dieses eindeutig und durchgängig mittelhochdeutsche Gedicht, das zugegebenermaßen einen hohen Bekanntsheitgrad besitzt, an dieser Stelle verloren hat. Schließlich wollten wir doch den vorliegenden Artikel dazu benutzen, um über lateinisch-deutsche Mischformen sprechen.
Nun gibt es aber durchaus Einiges an Interessantem über dieses Verslein zu berichten, das uns, wiewohl in Mittelhochdeutsch ver- fasst, wieder zum Latein zurückührt: Aus dem 12. Jahrhundert stammend, soll die Autorin eine (vermutlich junge) Nonne aus dem Kloster Tegernsee gewesen sein, die einen glühenden Liebesbrief an ihren Liebsten verfasst hat. An sich schon einer Erwähnung wert und nicht ohne Brisanz. Dieser Brief selbst ist äußerst kunstvoll verfasst - und zwar in Mittellatein! Das angeführte, berühmte Gedicht war diesem verschriftlichem Seufzen als Fußnote angefügt, was wiederum zeigt, das diese Epoche mit deutsch-lateinisch- en Mischformen durchaus gut zurechtkam ...
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