Mittelalterliches Schönheitsideal - im 'Ring' einmal anders ...
Wer liest sie nicht gerne, die Mären und Aventüren, in denen es nur so wimmelt vor schönen Damen und geheimnisvollen Feen. Die mittelalterlichen Autoren ereifern sich im Anpreisen der Vorzüge ihrer Holden; die zarte Haut einer Jeden ist weiß wie Schnee - und die der aktuellen Favoritin gar noch ein Stück bleicher -, der Mund rot wie Blut, die Glieder schlank und rank, Gesinnung und Manieren sind allerfeinst. Kurzum, die Damen gehorchen offensichtlich alle einem gängigen Schönheitsideal.
Vorweg sei hier eines gesagt: Wir wollen uns - weil uns die Damen immer eine Herzensangelegenheit und über sie und ihre Vor-Züge zu schreiben eine stete Freude ist - dem mittelalterlichen Schönheitsideal widmen und darum im vorliegenden Artikel der Beschreibung eines Prachtstücks von Weiblichkeit widmen und nicht einem ganzen Werk mit all den Interpretationen über die Absichten des Autors, über das Publikum, das er möglicherweise im Auge hatte und dergleichen mehr. Darüber, nämlich über Heinrich Wittenwilers satirische Verserzählung Der Ring , werden wir ein anderes Mal mehr zu berichten haben ...
Hier geht's uns also nur ums weibliche Idealbild in der mittelalterlichen weltlichen Literatur. Und dieses, könnte man nach dem eingangs Gesagten annehmen, war - zumindest wenn es um das Aussehen ging - ähnlich abwechslungsreich wie das moderne Schönheitsideal nach US-amerikanischem Vorbild (wenn auch die bevorzugte Brustgröße damals eine ganz andere war). Die Damen der Artusritter nur Schablonen? Mittelalter-Barbies, von denen die eine der anderen glich? Mitnichten! Es gab auch Alternativen, wie uns der folgende Auschnitt lehrt:
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Die hieß Mätzli Rüerenzumph
Doch eine hatte er besonders
in seinem Herzen, das ist wahr:
Die hieß Mätzli Rüehrenzumph.
sie war vollkommen lahm und krumm,
ihre Zähne, ihre Händchen waren brandig,
ihr Mund rot wie Meeressand.
Ihr Zopf glich einem Mäuseschwanz.
An ihrer Kehle hing ein Kropf,
der bis zum Bauch hinab reichte.
Liebe Freunde, hört, wie
ihr Rücken übergeschossen war,
eine Glocke hätt' man darüber gießen können.
Die Füße waren dick und breit,
so dass ihr kein Wind Leid
antun mochte indem er sie fällte,
wenn sie sich gegen ihn stemmen wollte.
Ihre Wangen rosenfarbig wie Asche,
ihre Brüste klein wie Packtaschen.
Die Augen leuchten wie der Nebel,
der Atem duftet wie Schwefel.
Das Kleidchen hing ihr so herab.
als wär' ihr die Seel' entwichen.
Sie konnte sich so fein benehmen,
als wär' sie schon drei Jahre.
...
Die hiez Mätzli Rüerenzumph
Doch was eineu sunderbar
In sinem hertzen, daz ist war:
Die hiez Mätzli Rüerenzumph.
Sei was von adel lam und krumpf,
Ir zen, ïr händel sam ein brand,
Ir mündel rot sam mersand.
Sam ein mäuszagel was ir zoph.
An ir chelen hieng ein chroph,
Der ir für den bauch gie.
Lieben gsellen, höret, wie
Ir der rugg was überschossen:
Man hiet ein gloggen drüber gossen!
Die füessli warend dik und brait,
Also daz ir chain wind laid
Getuon moht mit vellen,
Wolt sei sich widerstellen,
Ir wängel rosenlecht sam äschen,
Ir prüstel chlein sam smirtäschen
Die augen lauchten sam der nebel
Der aten smacht îr als der swebel.
So stuond îr das gwändel gstrichen,
Sam ir die sele wär entwichen.
Sei chond also schon geparen,
Sam sei wär von drien jaren.
...
Anmerkungen zum Werkausschnitt:
Wahrlich eine Augenweide ist sie, die Mätzli Rüehrenzumpf, die uns der Autor Heinrich Wittenweiler in den Versen 72 - 96 seines 'Rings' schildert, so unwiderstehlich, dass sich der Held der Erzählung, der auf den ähnlich sprechenden Namen Bertschie Triefnas hört, unrettbar in sie verliebt - was sonst. Unwiderstehlich, wenn auch nicht ganz dem üblichen Schönheitsideal entsprechend.
Wittenwiler, soviel sei hier schon einmal verraten, war mit größter Wahrscheinlichkeit der in mehreren Urkunden Genannte maister heinrich von wittenwile, ein gegen Ende des 14. Jahrhunderts als Advokat und später als Hofmeister am Konstanzer Bischofshof tätiger Adeliger. Die erwähnte Zeitepoche verrät uns, dass die Sprache seines Werkes nach gängiger Klassifizierung bereits als frühes Neuhochdeutsch eingestuft werden muss. Die Änderungen zum klassischen Mittelhochdeutsch sind jedenfalls deutlich zu erkennen - besser, zu erlesen.
Dass der gute Meister Heinrich nicht alles ganz genauso meinte, wie es im Texte steht, dieser Verdacht wird den einen oder anderen beim Lesen der ausgewählten Passage erfasst haben. Schließlich stammen die Protagonisten aus der bäuerlichen Lebenswelt uns stellen alles andere als klug handelnde Vorbilder dar, die fortlaufend des Lesers Spott ausgesetzt werden und sich zu guter (besser: zu schlechter) Letzt auch noch in einer großen Schlacht selbst vernichten.
So darf man Mätzli Rüehrenzumphs Beschreibung (auf die Bedeutungsübersetzung des Namens ins Neuhochdeutsche möchten wir hier aus Jugendschutzgründen verzichten! Schließlich gehört es sich nicht, jemanden an den ... tja ... zu fassen, ähem.), wohl als eine Parodie der üblichen Frauenbeschreibungen in der höfischen Literatur sehen und muss sich somit nicht über des Meisters originellen Geschmack in Sachen Damen wundern ...
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