Sælde und êre - Mittelhochdeutsche Schlüsselbegriffe

Hier mögt ihr nun einiges über Begriffe erfahren, deren Verständnis für die Interpretation mittelhochdeutscher Texte bedeutsam ist ...

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'... zweier edelen frouwen nît' - Die Eigenschaft edel

Durchsucht man das Nibelungenlied nach dem Adjektiv edel , dann benötigt es genau 42 Strophen um das Dutzend damit voll zu machen. Das zwölfmalige Auftreten in diesem vergleichsweise kurzen Abschnitt verdeutlicht die Bedeutung des Begriffes für das Selbstverständnis des adeligen Publikums, an welches sich das Heldenepos vorrangig richtet. Denn auch in den höfischen Romanen jener Zeit ist fortwährend die Rede von edelen künegen und edelen frouwen .

Dies mag uns nicht überraschen, wenn wir uns die Geisteshaltung der herrschenden Klasse jener Zeit vor Augen führen. Ob nun diese Haltung als Folge der zeitgenössischen literarischen Vorbilder entstanden ist oder ob sie umgekehrt selbst das Vorbild für die Handlungen der Helden in den Werken abgibt, muss hier unbeantwortet bleiben. Man wird die Frage, ob und inwiefern die höfische Literatur für den Adel verhaltensbildend war oder eher die adelige Wirklichkeit beschrieb, wohl überwiegend im ersteren Sinn zu beantworten haben - wenn auch nicht ausschließlich.

Im ersten Moment scheint uns die Bedeutung der Eigenschaft edel beziehungsweise edele mit Seitenblick auf die neuhochdeutsche Verwendung klar zu sein: Der edle König oder Ritter ist geläufig, obwohl es uns in Folge schon etwas schwerer fällt zu beschreiben, was denn so einen edlen Herrn nun wirklich auszeichnet. Seine Haltung und sein Benehmen ... Oder vielleicht doch eher der Reichtum? Nein, so wird jetzt unzweifelhaft mancher ausrufen, mit Reichtum alleine hat der Begriff edel nichts am Hut! Also ersetzen wir edel mit (dem wahrscheinlich ebenso schwammigen) Ausdruck hochherzig. Gut! Aber was ist dann mit der 'edlen Ausstattung' oder gar den Edel- steinen?

Wie bei sovielen Ausdrücken im Mittelhochdeutsch, die uns im ersten Moment vertraut vorkommen, müssen wir auch hier zur Kenntnis nehmen, dass eine Veränderung der Wortbedeutung stattgefunden hat - zumeist handelt es sich bei solchen Veränderungen ja um Begriffseinengungen. Als Sprache im relativ jungen Entwicklungsstadium kannte das Mittelhochdeutsche noch keine so klaren Differenzierungen und Spezialausdrücke, wie unser mo- dernes Deutsch.

Zuerst einmal meinte edel eine Standesbezeichnung. edeli ist eine Ableitung aus dem althochdeutschen adal . Die naheliegende Gleichsetzung des Begriffes mit dem Adjektiv 'adelig' ist vorerst jedoch noch nicht zulässig - schließlich ist der letztere Begriff im Frühmittelalter ständisch-rechtlich noch nicht eindeitig festgelegt. Vielmehr bedeutet adal ursprünglich 'von hoher Geburt' beziehungsweise 'von vornehmer Herkunft'

Auch im Nibelungenlied kennzeichnet edel vorwiegend die standesgemäße Herkunft, wie etwa in jener sechsten Strophe, in der nach der Nennung des Ortes der Hofhaltung vorausschauend auf das schlimme Ende der Burgunden Bezug genommen wird:

In Worms am Rhein hielten sie prachtvoll Hof.
Die stattliche Ritterschaft des Landes diente ihnen
ehrenvoll bis zu ihrem Tod.
Später gingen sie jämmerlich am Streit zweier hochgeborener Frauen zugrunde

(Nibelungenlied, 1. Âventiure - 6. Strophe)

In diesem Zusammenhang kann edel wohl als standesmäßige Kennzeichnung interpretiert werden, sind doch die späteren Handlungen speziell der Kriemhild, die zum Untergang all ihrer Brüder führen, unmöglich als 'edel' im Sinne einer Geisteshaltung zu verstehen. Schließlich wird dem Ziel der Rache sogar das Leben des eigenen Sohnes untergeordnet. Diese ursprüngliche ständesmäßige Bedeutung ist in unserer modernen Sprache noch zu finden, wenn von 'den Edlen des Landes' gesprochen wird, also von jenen, die von vornehmer Abstammung sind.

Daneben kann aber edel auch zur äußerlichen Beschreibung von Personen oder Gegenständen dienen. In solchen Fällen nimmt es die Bedeutungen 'herrlich', 'kostbar', 'ausgezeichnet' oder 'auserlesen' an, dann etwa, wenn von 'vil der edelen steine' oder von 'vil der edelen spîse' , den auserlesenen Speisen, die Rede ist. Die weiter oben erwähnte 'edle Ausstattung', die noch in unserem Sprachfundus vorkommt, entspringt sicherlich diesen Bedeu- tungen ...

Ab dem 11. Jahrhundert tritt neben diese zwei Bedeutungskomplexe ein weiterer, der eine Verinnerlichung des Begriffes mit sich bringt. Dies ist zuerst in religiös-mystischen Texten zu erfassen, in denen von der 'edeliu sêle' , der mittelhochdeutschen Entsprechung der lateinischen anima nobilis , die Rede ist.

Diese verinnerlichte Bedeutung von edel findet neben den bereits erwähnten Eingang in die höfische Literatur. In letzterer Interpretation ist es als soziale Eigenschaft zu verstehen, welche das Gute, das Wahre, das Schöne, das Tugendhafte, das Reine, das Verzeihende usw. beinhalten kann. Im Begriff Edelmut finden wir diese soziale Komponente noch heute. In ähnlicher Bedeutung ist das Adjektiv auch im Prolog von Gottfrieds Tristan zu verstehen, wenn der Autor von edelen herzen spricht:

....
Dieses Leid enthält so viel Freude,
dieser Kummer tut so innig wohl,
dass kein edles Herz darauf verzichten mag,
da es davon erst zum edlen Herzen wird.
Ich weiß es so sicher als den Tod
und aus eigener leidvoller Erfahrung:
Der vornehme Liebende
schätzt Liebesgeschichten.
....

(Tristan des Gottfried von Strassburg, ca. 1200, Prolog, 115 - 122)

Wiewohl edel in dieser Bedeutung nun einer inneren Haltung entspricht, setzt der hochmittelalterliche Mensch diesen 'Gesinnungsadel' dem Geburtsadel gleich - gemäß der dieser Zeit eigenen Denkweise, dass innere Einstellung und äußerer Stand sich entsprechen. Dieses vorstellungsmäßige Zusammenhängen zwischen 'Innen' und 'Außen' findet sich etwa auch in der Denkweise, dass äußeres Unglück stets als Folge von eigenem Fehlverhalten (also einem inneren Mangel) resultiert (Siehe etwa Hartmanns armen Heinrich, dem der Aussatz von Gott als Strafe für sein weltbezogenes Leben gesandt wird).

Erst später kommt es auch sprachlich zur Unterscheidung zwischen der Gesinnungshaltung edel und dem äußeren Stand, der fortan mit dem neu gebildeten Adjektiv 'adelig' bezeichnt wird.

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