Hier mögt ihr nun einiges über Begriffe erfahren, deren Verständnis für die Interpretation mittelhochdeutscher Texte bedeutsam ist ...
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Mittelhochdeutsch
Begriffe - Erläuterung
'ûf êre leit er arbeit' - Die êre als Handlungsmotiv
Schwerlich werden wir in mittelhochdeutschen Texten Begriffe entdecken, die uns vertrauter vorkommen als die êre , nach der all die bemerkenswert untadeligen Ritter und Helden stets streben. Schließlich ist sie auch in unserem modernen Wortschatz durchaus noch gebräuchlich, etwa wenn es uns 'eine Ehre ist', eine bestimmte Aufgabe zu erledigen - nun ja, zumindest sagen wir so, denn häufig würden wir ja auf Spezial- aufträge lieber verzichten und die Ehre einem anderen überlassen ....
Spätestens dann jedoch, wenn etwa bei einer gewagten Wette einer der Partner schlauerweise darauf be- steht, auf einen wertvollen Einsatz doch lieber zu verzichten und 'nur um die Ehre' zu wetten, spätestens dann wird deutlich, dass auch dieser so zentrale Begriff im Laufe der Jahrhunderte einen wesentlichen Be- deutungswandel durchgemacht hat. Einmal schnell die Ehre verloren - dies war für die arthurianischen Hel- den keine Lapalie. Im Gegenteil - war etwas derartiges geschehen, so zog dies schwerwiegende Konse- quenzen nach sich ... Doch von Anfang an:
Bereits das Althochdeutsche kennt den Begriff êra . Dort jedoch überwiegt die religiöse Bedeutung als Ehr- erbietung gegenüber Gott beziehungsweise Verehrung von Gott, jedoch kann auch Gottes Ansehen und Majestät gemeint sein. Inwiefern diese Konzentration auf den religiösen Bereich wirklich dominiert oder ob nicht der Mangel an weltlichem Schrifttum aus dieser Epoche die Verhältnisse etwas verzerrt, muss offen bleiben.
In der frühen mittelhochdeutschen, weltlichen Literatur bezeichnet das Wort vorerst eine äußere Qualität, wie dies häufig bei Begriffen in jener Frühzeit unserer Sprache der Fall ist (vergleiche nur den Begriff edel ). Gemeint war damit die gesellschaftliche Anerkennung, der Ruf, den man bei anderen genoss und um den sich ein Ritter vor allem anderen zu sorgen hatte. Diese Bedeutung schwingt noch mit, wenn wir davon sprechen, dass jemand geehrt wird, etwa in der Siegerehrung des Sportlers. Die Ehrung stellt eine Auszeichnung vor der Gesellschaft dar.
Sein Denken war ritterlich,
an ihm zeigten sich nur gute Eigenschaften,
er war reich und edel.
Niemandem war er feindselig gesinnt,
sondern stets getreu,
und freigiebig ohne Bedenken
...
Um der Ehre willen, nahm er Mühsal auf sich.
vil ritterlîchen stuont sîn muot;
an im enschein niht wan guot,
rîch und edel was er genuoc
sînn herze niemen nît entrouc.
er was getriuwe
und milte âne riuwe,
...
ûf êre leit er arbeit.
(Erec, Vers 2730, ff)
Wie man sieht, hat ein Ritter am Artushof somit einiges zu tun, um sich einen guten Ruf zu verdienen. Schönsein und das Bestehen von Abenteuern alleine reichen nicht, er hat gefälligst auch noch freigiebig zu sein und .....
In Hartmann von Aues Erec hat der Titelheld zweimal einen Ehrverlust zu erleiden, der jeweils prompt zu einer Ausfahrt samt nachfolgenden Abenteuern führen muss. Zu Beginn der Erzählung begleitet der Held die Königin und ihre Damen bei einem Ausritt. Ungewappnet, wie es sich vielleicht für einen Charmeur, keinesfalls jedoch für einen Ritter ziemt. Es kommt wie es kommen muss: Erec wird vor den Augen der Damen von einem Zwerg geschlagen und kann dies nicht rächen, da ihn sonst der Herr des Winzlings, ein wohlgerüsteter Ritter, töten würde. Seine Ehre ist vorerst einmal dahin.
Nie war ihm größeres Leid geschehen
als durch diesen Peitschenhieb,
und nichts beschämte ihn mehr,
als dass diese Schande (Unehre)
die Königin und ihren Frauen mitangesehen hatten.
er gelebete im nie leidern tac
dan umbe den geiselslac
und schamte sich nie sô sêre
wan daz dise unêre
die künegin mit ir vrouwen sach
(Erec, Vers 104, ff)
Natürlich verfolgt Erec den unverschämten Ritter und kann ihn schließlich, wie es sich gehört, in einem zünftigen Zweikampf im Rahmen eines Turniers besiegen. Dass er dabei noch die die wunderbare Enite gewinnt, ist nur eine logische Folge: Die tapfere Haltung bewirkt ja stets (meist) auch sælde und eine Belohnung.
Aber anstatt nach der Rückkehr an den Artushof und der Übernaheme einer eigenen Herrschaft standes- gemäß zu residieren, zu tjosten, Taten zu vollbringen, wie sie Männern gebühren, was macht dieser Ein- faltspinsel da? Er 'verliegt' sich mit seiner (zugegebenermaßen sehr reizvollen) frisch Angetrauten - das heißt, er schafft es nicht mehr aus dem Bett. Und wie das so ist, wenn man die Ettikette nicht beachtet, wird über ihn geredet ... schlecht geredet. Und schon ist sie wieder hin, die Ehre und ... Erraten! Aufs Neue geht es los mit den Abenteuern, bis alles wieder im gesellschaftlichen Lot ist ..
Allmählich erst wird aus dieser äußeren Qualität der Ehre eine innerer Eigenschaft, wie sie in unserer mo- dernen Sprache noch im Ehrenkodex oder im vielerwähnten 'Mann von Ehre' zu finden ist (manche Frauen zweifeln allerdings daran, dass ein solches Exemplar überhaupt zu finden - jedoch kann manchmal auch die Ehre einer Frau verlorengehen ...). Eigentlich müsste man genauer sagen, diese später entstandene, in- nere Bedeutung tritt neben die ältere. Denn - und das ist so charakteristisch für die höfische Literatur jener Zeit - es wird selbstverständlich angenommen, dass innere und die äußere Qualität an einer Person stets gemeinsam auftreten. Der Gute ist auch stets mit prächtiger Gestalt und ansehnlichem Antlitz versehen, ebenso wie die tugendsamen Damen stets von wunderbarer Schönheit sind. Und wo diese Übereinstim- mung von innerer und äußerer Eigenschaft einmal nicht der Fall ist, da handelt es sich stets nur um eine vorrübergehende Störung, die, wie im Falle Erecs im Rahmen einer Aventürenserie stets zu beheben ist.
Eine etwas andere Ehrauffassung tritt uns im Heldenepos entgegen, in dem zumindest teilweise noch ger- manisches Denken widerhallt. Hier hat sich der Held, vom Lauf des unerbittlichen Schicksals fortgetrieben, selbst treu zu bleiben. Er verzweifelt nicht, auch dann nicht, wenn die Lage aussichtslos erscheint, sondern geht notfalls gefasst und idealerweise kämpfend in den Tod (- man denke da an Hagen, den selbst das Wissen um den bevorstehenden Untergang nicht abhält, die Fahrt fortzusetzen). Ist er mit einer solchen Haltung ausgestattet, wiegt es dann nicht mehr ganz so schlimm, wenn der Betreffende einen - vorsichtig ausgedrückt - etwas zweifelhaften Charakter besitzt.
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