Hier findet ihr Textsegmente, in denen sich für das Verständnis mittelhochdeutscher Texte wichtige Schlüsselbegriffe tummeln ...
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Mittelhochdeutsch
Begriffe - Erläuterung
Mittelhochdeutscher Prosa-Lancelot: '... das ist guot und miltikeit und stolczheit ...'
Liest man mittelhochdeutsche Texte im Original, dann stößt man immer wieder auf Schlüsselbegriffe, deren Verständnis für das Verständnis der vorliegenden Textstellen von essentieller Bedeutung ist. Schwierig- keiten bereitet dabei nicht etwa die verwendete Wortform selbst, denn meist lässt sich unschwer die mo- derne Form dafür zuordnen. Nein, das was Schwierigkeiten bereitet, ist der Bedeutungswandel, den diese Begriffe üblicherweise durchgemacht haben - ob dieser nun in einer vollständigen Änderung des Sinnes besteht oder in einer Begriffseinengung.
Diesen Schwierigkeiten versuchen wir in unserer kleinen Serie über mittelhochdeutsche Schlüsselbegriffe auf die Spur zu kommen - zugegebenermaßen auf keinesfalls akademischem sondern allenfalls laienhaft-begeistertem Niveau. Mit dem vorliegenden Artikel versuchen wir nun erstmalig, diese Schlüsselbegriffe an- hand ausgewählter Textsegmente zu verdeutlichen. Dabei wollen wir gar nicht erst große Erläuterungen liefern. Vielmehr sollen die Texte selbst für sich sprechen und, so unsere Hoffnung, manches besser ver- deutlichen, als wir dies vermöchten.
Nun, worum geht es nun im vorliegenden Beitrag? Der Text den wir zitieren, es handelt sich um einen Aus- schnitt aus dem mittelhochdeutschen sogenannten Prosalancelot, macht deutlich, welche Eigenschften ein hervorragender Herrscher und Ritter besitzen sollte. Interessanterweise geschieht diese Aufklärung, die man sich vielleicht von einem Vater für seinen Sohn gehalten denken würde, in einem makaberen Zusam- menhang. Der Sohn nämlich, Dorin, ist zu diesem Zeitpunkt bereits tot und wird von seinem Vater, König Claudas vom 'Wüsten Land' betrauert, seineszeichen Schurke und Bösewicht der Erzählung und üblicher- weise gar nicht dem ritterlichen Ideal entsprechend handelnd.
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Nachdem Claudas statt der beiden Kinder die Windhunde gefangen hatte, ging er dorthin, wo sein toter Sohn Dorin lag und brach in großes Klagen aus. Er konnte jedoch gar nicht soviel jammern, wie ihm zumute war, da er es nicht gewohnt war, großen Kummer zu ertragen.Er war immer hochgemut gewesen und achtete nicht viel auf Kleinigkeiten. Aber nun war ihm das größte Leid widerfahren, das geschehen konnte. Nicht grundlos, denn er besaß nur dies eine Kind. Es war schön, stark, freigiebig, edel und sehr mutig und hochsinnig gewesen
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da Claudas die zwen winde gefangen hett fur die zwey kint, da ging er aldar sin sun Dorin tot lag, und machte großen jamer.
So großen jamer kund er nicht gemachen als ubel im zu muot was, wan er nicht gewon was großen ruwen zu haben. er was stolczes gemutes ye gewesen und achtet off ein clein ding nicht vil, wan nu was im das meyst leyt geschehen das im geschehen mocht; das enwas auch nicht unmuglich, wann er enhet nicht me kinde dann syn alleyn. Er was schon, starck, milt und gut und fast kúne und stolcz
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(Mittelhochdeutscher Prosalancelot, Claudas trauert um Dorin)
Dieser kurzer Textauszug zeigt uns bereits einiges über die zugrundeliegende Quelle: Anders als die Klas- siker etwa eines Hartmann, Wolfram oder Gottfried, handelt es sich um eine Prosaerzählung. Übrigens um den ersten deutschsprachigen Prosaroman überhaupt, der allerdings keine Neubearbeitung sondern eine reine Übersetzung des französischen Originals ist, welches zwischen 1215 und 1230 entstanden sein dürf- te.
Nun ist hier nicht der Ort, über dieses äußerst umfangreiche und sehr erfolgreiche Werk (dessen Seitenzahl in die Tausende geht) zu referieren. Allenfalls soviel sei noch gesagt, dass die deutsche Übersetzung nicht in einem Schub erfolgte, sondern sich über vermutlich drei Jahrhunderte erstreckte, beginnend mit der Mitte des 13. Jahrhunderts. Dass dabei unterschiedliche Stufen der Sprachentwicklung erkannbar werden, ist verständlich - auch wenn sich die späteren Übersetzer offensichtlich mühten, die 'archaiische' Sprachform so gut als möglich beizubehalten, so handelt es sich an vielen Stellen doch eigentlich um ein frühes Neu- hochdeutsch. Aber dazu sei auf spätere Beiträge vertröstet ...
Um nun zum Kernthema zu kommen: König Claudas Klage um die Vorzüge des getöteten Sohnes wendet sich in eine Art Ritterspiegel, indem erkläst wird, welche Eigeneschften ein von allen geliebter und geach- teter Herrscher besitzen sollt. Dabei streicht er die Bedeutung der drei Schlüsselbegriffe Güte, Freigiebig- keit und Hochsinnigkeit hervor:
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Du hast soviel Macht, Stärke und Mut besessen, dass du in kurzer Zeit die ganze Welt bezwungen hättest. Ich wusste dich im Besitz jener drei Eigenschften, die ein jeder edler Mann unbedingt haben soll; wer diese drei besitzt, der mag auf Erden erreichen was immer er will: Es sind dies Güte, Freigiebigkeit und Hochsinnigkeit. Wer gütig ist, der macht alle, die um ihn sind, froh und ist gerne mit ihnen zusammen und tröstet alle, die es bedürfen, arm und reich. Nun will ich euch auch bescheiden, was es heißt, freigiebig zu sein: Man muss allen in seiner Umgebung freundlich und froh geben, wessen sie bedürfen, Armen und Reichen, wenn man denkt, dass es angemessen ist und sie dessen würdig sind; aber auch denen, die nicht würdig sind, soll man um der Ehre willen geben, ist doch Freigiebigkeit so angesehen ...
Güte und Freigebigkeit sind alleine zu nichts gut, wenn ein mann nicht auch noch hochsinnig ist. Dies ist eine große Tugend, die einen Mann seinen Freund ohne Falsch lieben lässt wie sich selbst und seinen hassen lässt ohne Gnade und Erbarmen, es sei denn dass man von dessen Güte und Großmut sosehr überwältigt wird, das man sich seiner zu Recht erbarme. Wer mit diesen drei Tugenden ausgestattet ist, kann die ganze Welt übertreffen.
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Du hettest auch macht, sterck und kunheit, das du in kurczer wile alle die welt becwungen hettest.Ich wuost dich wol dryerhande sicher, die ein yglich gut man zu recht soll haben; und wer der dryer sicher ist, der mag wol allen synen willen enden off ertrich: das ist guot, und miltigkeit und stolczheit. Welch man gut ist, der macht all syn gesellschafft fro und ist gern mit yne und trostet alle diß bedörffent, rich und arm, die zu syner gesellschafft horent. Nu wil ich uch auch bescheyden wie der man milt muß wesen: er muß geben allen synen gesellen lieblich und frölich des sie bedörffent, beide richen und armen, da yn duncket das es wol bestattet sy, und dieß wirdig syn; diß auch nit wirdig synt, den sol man geben umb ere, dwil das miltikeit so hohen namen hatt und ein so ersam ding ist ...
Gut noch miltikeit ist nyrgen zu guot, ein man sy dann da mit stolcz. Stolczheit ist ein große tugent, das ist das ein man synen frúnt mynne one falsch als synselbes lip, und das er synen fynt haßse on gnad und on allehande barmherczikeit, es sy dann das yn syn fynt mit allerhang gúte und mit syner miltikeit so sere uberwinde das er sich zu recht uber yn erbarmen sol. Mit diesen dryen dingen mag ein man alle die welt uberhöhen, der sie gehalten getar.
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(Mittelhochdeutscher Prosalancelot, Claudas trauert um Dorin)
Dies soll es auch schon gewesen sein - für dieses Mal: Wir werden den Proslancelot mit seinen vielfältigen Verflechtungen der Artuswelt und ihrer Helden und Schurken sicher bei Gelegenheit wiedertreffen, denn auf gut zweitausend Seiten findet sich schon das eine oder andere von Interesse ...
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