Sælde und êre - Mittelhochdeutsche Schlüsselbegriffe

Hier mögt ihr nun einiges über Begriffe erfahren, deren Verständnis für die Interpretation mittelhochdeutscher Texte bedeutsam ist ...

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'Die herren wâren milte ...' - Der Begriff der milte

In den Fürstenspiegeln des Mittelalters, den belehrenden und ermahnenden Werken, die an Könige und Fürsten oder deren Nachkommen gerichtet sind, zählte die milte zu den vornehmsten Tugenden, derer sich ein Fürst befleißigen sollte. Auch die fast stereotype Verwendung in der mittelhochdeutschen höfischen Literatur zeigt von der Bedeutung, der dieser Eigenschaft innerhalb des Adels zukam.

Das mag zunächst überraschen. Doch wie viele andere Wörter hat der Begriff im Laufe der Zeit einen Bedeu- tungswandel oder - genauer - eine Bedeutungsverengung durchgemacht. Heutzutage würden wir das Adjektiv mild etwa mit den Begriffen 'freundlich', 'gütig' oder 'wohlwollend' umschreiben. Diese Bedeutungen konnte das mittelhochdeutsche milt annehmen - doch zumeist ist es mit 'freigebig' zu übersetzen. Damit werden die Passagen in den höfischen Epen verständlich, in denen von milten herren die Rede ist:

....
Sie wurde von drei edlen und mächtigen Königen beschützt:
Gunther und Gernot, angesehene Recken,
und der junge Giselher, ...
...
Diese Herren aus hohem adeligen Geschlecht waren freigebig
und unermesslich kühn, die hervorragenden Ritter.
....

(Nibelungenlied, aus der 1. Âventiure)

Nun lassen sich die Burgundenkönige, zumal Herr Gunther, schwerlich als milde bezeichnen - man denke da nur an den weiteren Verlauf der Geschichte, an die wenig gütige Behandlung Siegfrieds oder manch eines Hunnenkriegers. Aber freigebig werden sie, wie es Königen ihrer Zeit zukam, wohl gewesen sein.

Selbstverständlich gilt speziell die Idealfigur des mittelalterlichen Herrschers, der britannische König Artus, als Inbegriff der vollkommenen milte . Dies kommt in allen höfischen Artusromanen zum Ausdruck, wie das folgende Beispiel verdeutlichen soll:

....
Es war einmal, wie erzählt wird,
ein König, der immer nach Ehren strebte,
dessen Name weithin bekannt ist;
sein Land wurde Britannien geheißen,
er selbst Artus
...
Nun wurde schon früher oft
von der Tapferkeit der Herren
und der Freigiebigkeit des Königs erzählt
dem es keine Last bedeutete,
an Ehren zu erringen, was möglich war.
....

(Wigalois des Wirnt von Grafenberg, ca. 1220, aus dem 2. Abschnitt)

Artus der König stellt in diesen Romanen den Mittelpunkt der Tafelrunde dar. Seine Ritter ziehen auf Abenteuerfahrt, um nach deren erfolgreicher Bewältigung wieder an den Hof zurückzukehren - gefeiert und mit der sicheren Gewissheit auf reiche Entlohnung durch den freigebigen König.

Tatsächlich spiegeln sich im Ideal der milte konkrete Interessen der mittelalterlichen Realität. Schließlich gründet sich das mittelalterliche Lehnswesen zwischen Herrn und Gefolgsmann auf Gegenseitigkeit. So wie seine Gefolgsleute dem Herrn zur Treue und Heerfolge verpflichtet sind, ist der Herr umgekehrt seiner Umgebung gegenüber zur milte verpflichtet. Diese milte ist somit aber auch auch ein Mittel zur Darstellung von Herrschaft und öffentlicher Repräsentation - im Mittelalter bekanntlich von besonderer Wichtigkeit.

Die milte , Freigebigkeit, begegnet aber nicht nur im höfischen Roman, sondern auch in der Spruchdichtung jener Tage. Schließlich sind die fahrenden Dichter vom Wohlwollen der großen Herren abhängig. So tadelt etwa Walther von der Vogelweide den kargen Philipp und preist nach Erhalt seines Lehens Kaiser Friedrich II: Der edel künec, der milte künec hât mich berâten.

Schlussendlich verstehen wir jetzt endlich, was es damit auf sich hat, wenn uns jemand um jene 'milde Gabe' bittet, die noch in unserem Sprachgebrauch herumgeistert: Es handelt sich dabei also keineswegs um eine Kleinigkeit, sondern im Gegenteil um die Bitte nach einem freigebigen, also wertvollen Geschenk ... Also, Vorsicht ist geboten!

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