Hier mögt ihr nun einiges über Begriffe erfahren, deren Verständnis für die Interpretation mittelhochdeutscher Texte bedeutsam ist ...
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Mittelhochdeutsch
Begriffe - Erläuterung
'stæter mout' - die Eigenschaft stæte
Das Adjektiv stæte konkretisiert in mittelhochdeutschen Texten häufig Eigenschaften, die wir als 'Schlüsselbegriffe' zu bezeichnen pflegen und verleiht diesen Begriffen damit eine noch gewichtigere Bedeutung: So wird Tugend erst dann wahrhaftig, wenn sie dauerhaft gelebt wird, Mut und rechte Gesinnung werden erst dann lobenswert, wenn sie in allen Situationen zuverlässig zum Vorschein kommen ...
Schon aus diesen beiden Beispielen wird klar, was es mit solchen Eigenschaften auf sich hat; es ist die Beständigkeit und Zuverlässigkeit, die damit betont werden soll. Tatsächlich lässt sich der Begriff 'stæte' je nach Zusammenhang in moderne Wortentsprechungen wie 'beständig, treu, standhaft, zuverlässig, sicher, (rechts-)verbindlich, gleichmäßig fortdauernd' und dergleichen, übersetzen, Begriffe also, die ganz überwiegend positiv besetzt sind.
Ein direkter Nachkomme ist uns mit unserem 'stets' erhalten geblieben: So höhlt steter Tropfen (zuverlässig) den Stein und wenn wir stets zu spät kommen, dann können sich unsere Verabredungen zumindest auf diesen Umstand verlassen - wenn sie uns nicht schon zuvor ob unseres vorhersehbaren Verhaltens verlassen ...
Die Wortgeschichte reicht dabei über das mittelhochdeutsche 'stæt(e)' auf das althochdeutsche 'stati' zurück - fest, dauerhaft, beständig -, (wohl eine Entlehnung aus dem Lateinischen, dem ja das Deutsche viel zu verdanken hat) wenn man an die Begriffe 'Statik' und 'statisch' denkt.
Positive Bedeutung - somit erstaunt es nicht, wenn wir diese Eigenschaft in der mittelhochdeutschen Literatur dort finden, wo Idealfiguren vorgestellt werden oder ein vorbildlicher Lebenswandel angemahnt wird. Selbstverständlich hat ein vorbildlicher König oder Fürst - und wer sollte da vor dem guten König Artus kommen? - solchen Vorstellungen zu folgen, wie uns Wirnt von Grafenberg im folgenden Beispiel verdeutlicht:
...
Des Königs Haus lag in der Mitte.
Der, nach altem Brauch,
alle Ritter wohl aufnahm;
er war voll reiner Tugend,
besonnen und beständig;
ohne Hinterlist
liebte er jeden Mann
...
...
Des küniges hûs enmitten lac.
der, nâch alten site, pflac,
die rîter alle enpfâhen wol;
er was reiner tugent vol,
gewizzen unde stæte;
ane valsche ræte
minnet er iegelîchen man;
...
('Wigalois', Wirnt von Grafenberg)
Auch wundert es nicht, wenn bei der Beschreibung der adeligen Vorzeigefrau dieses Attribut der Beständigkeit und Verlässlichkeit als äußerst wünschenswert dargestellt wird - dort häufig angeführt neben all den anderen üblichen und immer wiederkehrenden Eigenschaften, welche die mittelalterlichen Autoren für die vorbildhafte Dame postulierten. Auch hierfür soll ein kurzer Textauszug Beispiel stehen - ein Beispiel übrigens, dass alle FeministInnen (die wir hier natürlich herzlich begrüßen) ob des äußerst differenziert dargestellten Frauenbildes begeistern wird:
...
Nun hatte er eine schöne Frau,
beständig und demütig.
...
...
Nu hat er ein schœnez wîp,
stæt und dêmüete.
...
('Lanzelet', Ulrich von Zatzikhoven )
Verständlich diese Wunschvorstellung der (männlichen) Autoren, schließlich sollte sich der Held, der ja immer wieder einmal für längere Zeit geschäftlich unterwegs sein musste - sprich, Aventüren zu bestehen hatte -, in dieser Zeit auch auf die beständige Treue und Minne seiner Angebeteten verlassen und darauf vertrauen können, bei seiner Wiederkehr freudig in die traute Kemenate aufgenommen zu werden.
Genauso, wie die unveränderliche Gunst des fürstlichen Gönners und Herren und das Vertrauen auf seine beständige Freundschaft und Freigebigkeit sowohl für den ritterlichen Gefolgsmann wie auch für den lobpreisenden Sänger von ausschlaggebender Bedeutung waren.
Und die Herren Ritter selbst? Diejenigen, welche die Runde Tafel verließen, um all diese wunderlichen und wunderbaren Abenteuer zu erleben? Wie stand es mit deren beständiger Treue? Nun, da findet sich sowohl die stæticheit oder stætekeit als auch dei Eigenschaft weit weniger häufig betont in den Biographien. Immerhin können wir doch mit einem Beispiel aufwarten:
...
Sie können es kaum vertragen,
dass ein Ritter Erfolg hatte,
der immer nach beständiger Tugend rang.
...
...
si mügen kûme vertragen,
daz eim ritter wol gelanc,
der ie nâch stæten tugenden ranc.
...
('Lanzelet', Ulrich von Zatzikhoven )
Nicht dass bei den Superhelden Beständigkeit nicht erwünschenswert gewesen wäre, insbesondere bei den typisch männlichen Eigenschaften wie Mut und Tapferkeit gefragt, aber im Zuge einer Aventüre konnte es schon mal vorkommen, dass eine Fee zu heiraten war (so kann 'ze stæte nehmen' für heiraten stehen) - die man(n) (im Sinne einer aktionsreichen Fortsetzung der Abenteuer) dann auch prompt wieder zu verlassen hatte, war der standesgemäße Sproß erst einmal gezeugt.
Verneint - unstæte - erlangt der Begriff eine negative Bedeutung; unstetig meint ja heute noch nichts Gutes und auch das unbeständige Wetter erfreut uns ob seiner Launenhaftigkeit nur selten.
...
Ich sehe und nehme wahr,
dass ich mich so verhalte,
dass mir Leben und Sinn verwirrt sind
durch unbeständiges Possenspiel.
...
...
Ich sich und nime war
daz ich sô var
daz gar mir leben und sin verwirret
unstæte gumpelspil.
...
(Sangspruch, Walter von Breisach)
So, und nun hoffen wir, dass ihr diesen Ausflug ins Mittelhochdeutsche interessant gefunden habt. Wenn ja, dann dürft ihr euch freuen, denn es wird - wie stets - eine Fortsetzung folgen. Wenn nein - nun, die Fortsetzung kommt trotzdem. Darauf dürft ihr euch verlassen ...
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