Saelde und Ere - Mittelhochdeutsche Originaltexte

'Diu minne betwanc Salomône' - weiß Heinrich von Veldeke zu berichten ...

König Salomon und die Königin von Saba; Initiale aus der Winchester-Bibel, 12. Jhdt.

... und der muss es, als ausgewiesener Experte für alttestamentarische Geschichte, schließlich wissen. Immerhin war er es, der - vertrauen wir dem Zeugnis des Autors des 'Mauricius von Craûn ' - sogar eine ausführliche Beschreibung oder descriptio des Liebeslagers Salomons verfasst haben, der unbestritten als weisester aller biblischen Könige gilt. Und wer, wie Heinrich, über solch intime Einblicke ins heiligste Innere eines Fürstenpalastes verfügt, dem dürfen wir wohl aufs Wort vertrauen ...

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Die Liebe bezwang Salomon

Die Liebe bezwang Salomon,
der war der allerweiseste Mann,
der jemals eine Königskrone trug.
Wie hätte ich mich ihrer erwehren sollen,
damit sie mich nicht auch mit ihrer Macht bezwänge,
da sie einen solchen Mann überwand,
der so weise war und auch so mächtig?
Den Sold hab ich von ihr zum Lohn.

Diu minne betwanc Salomône

Diu minne betwanc Salomône,
der was der aller wîsest man,
der ie getruoc küniges krône.
wie möht ich mich erwerren dan,
sin betwunge ouch mich gewalteclîche,
sît si solken man verwan,
der sô wîse was und ouch sô rîche?
den solt hân ich von ir ze lône.

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Anmerkungen:

Wie kann das sein, fragt ihr? Selbst Salomo, der Weiseste von allen, von der Minne bezwungen, und zwar so vollständig, wie wir wissen, dass er bis an sein Lebensende ihr törichter Sklave bleiben musste? Frau Venus wars, soviel verrät uns der der bereits erwähnte 'Mauricius' (Vers 1160ff.), die in bekannt heimtückischer und niederträchtiger Weise mithilfe eines ihrer leidbringenden Pfeile die Klugheit des guten Königs erlegte. Doch wenn sich nun unter euch lechzende Lustmolche befänden, die nach Einzelheiten dieses betrüblichen Geschehens gierten, denen würden wir an dieser Stelle sagen, dass dieser Text, soferne von Heinrich je wirklich verfasst, nicht auf uns überkommen ist.

Jedenfalls versteht Heinrich aber in der obigen, achtzeiligen Stollenstrophe die rechten Schlüsse zu ziehen: Wenn selbst dieser weise Mann der Allmacht der Liebe nicht zu widerstehen vermag, wie vermöchten wir, um so viel geringer, dies? Könnte das jemand mit Verstand und vor allem Einfühlungsvermögen von uns verlangen? Nein, natürlich nicht ...

Und doch zweifeln wir, ob diese Rechtfertigung, wenn ihr denn einmal selig lächelnd, frühmorgens erst in den heimatlichen Bettgefilden erscheint, den wilden Duft nächtlichen Liebesrausches und -reigens als verräterschen Begleiter immer noch um euch, ob also eine solche Rechtfertigung dem schmollenden Ehegespons, dem langjährigen Partner als ausreichender Entschuldigungsgrund für diese lustvolle Absenz reichen mag. Schließlich gibt es nicht wenige Experten, die mit zunehmender Digitalisierung der Gesellschaft einen Verlust der Belesenheit und somit auch an Allgemeinbildung beklagen.

So mag es sein, dass dem sich furienhaft gebärdenden Empfangskomitee der Name und der Ruf des biblischen Königs gar nicht mehr bekannt sein mag, ja schlimmstenfalls sogar mit 'aha, also mit einem deiner nichtsnutzigen Freunde wieder einmal!' gleichgesetzt würde. Schrieben wir schlimmstenfalls? Beileibe nicht, dann dieses Armageddon würdet ihr dann erleben, wenn ihr vor einer, antiker Mythologie völlig unbedarften, bereits stirnrunzelnd an euch schnuppernder Gesprächspartnerin den Namen der 'Frau Venus' in den leicht lallenden Mund zu nehmen wagtet.

Nein, nein, soviel er auch zu berichten weiß über die sinneerwirrende Macht der Minne, nehmt ihn nicht zum Schutzpatron in einer solchen Situation. Lasst es, wenn wir euch raten dürfen, lieber erst gar nicht dazu kommen ... Wie denn, fragt ihr, wo doch Frau Venus an allen Ecken, hinter allen Bartresen auf uns lauert mit ihren verbrennenden Geschoßen? Nichts einfacher als das: Bleibt zuhause, verrammelt die Türen und erbaut auch an den Schriften der alten Meister ...

Zurück zum Thema: Unser Autor, Heinrich, wirkte in der Zeit zwischen etwa 1170 und 1190 nicht nur als Minnesänger, sondern stellt sich uns vor allem auch als Epiker dar. Schließlich war er es, der als erster deutsch- (oder niederländisch- oder limburgisch-?) sprechender Autor unter anderem den Äneasstoff bearbeitete und ins Mittelhochdeutsche (oder vielleicht doch zuerst ins Limburgische?) übertrug, wobei er neben seiner Hauptquelle, den französichen 'Roman d’Énéas', wohl auch lateinische Quellen zur Ergänzung und Korrektur benutzte - was, wenn aus erster Quelle, wiederum Kenntnisse des Lateins voraussetzt. Eine spannende Geschichte übrigens, denn das Manuskript dieses seines Eneasromans soll, so wird berichtet, noch vor Vollendung im Rahmen einer Fürstenhochzeit entwendet worden sein, um erst neun Jahre später wieder ... aber das ist eine ganz andere Geschichte!

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