Was tun in der Hochzeitsnacht? Die kleine Anleitung Wolframs im Parzival
Liest du, oh Besucher, stets jene bedeutungsschwangeren Sätze, das wir auf dieser Seite veröffentlichen, dann werden dir schwerlich unsere Anleitungen entgangen sein, wie man sich denn unter Verwendung gewisser zauberischer Hilfsmittel ein Mägdelein oder einen Jungherren geneigt machen könne. Wie stets, so fühlen wir uns auch in diesen Angelegenheiten dem Wohl unsere Lesern verpflichtet. Also lasst euch nun warnen - wenn jenes Wesen, dem all euer Sehnen gilt, endlich in eure Kammer herbeigebannt ist, ist längst noch nicht alles getan. Wisset, da liegt neben der vreude noch eine Menge an arebeit vor euch, um die Nacht zur erfolgreichen zu machen ...
Doch nein, verfallt nicht gleich in Panik - wir von Sælde und êre lassen euch in diesen schweren Stunde auch dann nicht allein, wenn euer .. ähh .. Stand ein schlechter ist (aber dazu in einem späteren Artikel vielleicht mehr) und ihr gar nicht recht wisst, was denn nun zu tun sei. Eigentlich sind es aber nicht wir, eigentlich ist es der vortreffliche Wolfram von Eschenbach, der hier helfend einspringt um solchen, wie ihr es seid, in seinem Parzival nebst viel anderem Nützlichen und Erbaulichen auch eine Anweisung zu hinterlassen, mit der sie die erste gemeinsame Nacht unbeschadet, und vor allem sehr höfisch, überstehen können; und wollt ihr nicht als übler Mägdeschänder gelten, dann lasst diese erste Nacht eure Hochzeitsnacht sein. Nunja, sagen mussten wir's zumindest ..
Merkt also auf und lauscht Wolframs weisen Worten - und nebstan bemerkt, vergesst nicht sein Büchlein rechtzeitig unters Kopfkissen zu schieben, auf dass ihr in Zeiten der Not, stets darin nachschlagen könnt!
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Parzival (I,4/201 vers19ff)
Ums Zusammenliegen wurden sie da gefragt.
Er und die Königen sagten ja.
So sittsam lag er da,
dass heutzutage nicht zufrieden wäre
manch Frau, mit einem, der ihr solches tut.
Ach, dass sie in angestrengter Gesinnung
ihre gute Erziehung verleugnen,
indem sie sich dagegen zieren!
Vor Fremden zeigen sie sich keusch,
doch ihr eigentliches Verlangen straft
ihr Gehabe Lügen.
Dem Freund schlagen sie heimliche Wunden
mit ihrer Zärtlichkeit.
Der Maß zu halten weiß,
der treue, beständige Mann,
der nimmt Rücksicht auf die Freundin.
Er denkt - und es mag wohl stimmen -,
'Ich habe seit Jahren gedient
um Liebeslohn dieser Frau.
Die hat mir
Erfüllung angeboten: Nun liege ich hier.
Dabei hätte es mir früher genügt,
mit bloßer Hand
ihr Gewand anzufassen.
Geb ich nun meinem Verlangen nach,
würde ich unrecht handeln.
Sollte ich sie quälen,
und uns beiden Schande bereiten?
Vor dem Einschlafen zärtlich wispern -
das entspricht dem Stil der Damen.'
So lag der Wâleise:
Sein Ungestüm war gering.
Den man den Roten Ritter hieß,
der ließ die Königin Jungfrau sein.
Parzival (I,4/201 vers19ff)
Bî ligens wart gevrâget dâ.
er unt diu künegîn sprâchen jâ.
er lac mit sölhen vuogen,
des nu niht wil genuogen
mangiu wîp, der in sô tuot.
daz si durch arbeitlîchen muot
ir zuht sus parrierent
und sich dergegent zierent!
vor gesten sint si an kiuschen siten:
ir herzen wille hât versniten
swaz mac an gebaerden sîn.
ir vriunt si heinlîchen pîn
vüegent mit ir zarte.
des mâze ie sich bewarte,
der getriuwe staete man
wol vriundinne schônen kan.
er denket, als ez lîhte ist wâr,
'ich hân gedienet mîniu jâr
nâch lône diesem wîbe,
diu hât mîme lîbe
erboten trôst: nu lige ich hie.
des hete mich genüeget ie,
ob ich mit mîner blôzen hant
müese rüeren ir gewant.
ob ich nu gîtes gerte,
untriuwe es vür mich werte.
solte ich sie arbeiten,
unser beider laster breiten?
vor slâfe süeziu maere
sint vrouwen site gebaere.'
sus lac der Wâleise:
cranc was sîn vreise.
Den man den rôten ritter hiez,
die künegîn er maget liez.
Anmerkungen:
Moment, werdet ihr jetzt empört rufen! Das soll alles sein? Wie jetzt weiter, wenn es dem Mägdelein gar nicht beliebt maget zu bleiben? Nun, wir geben's zu, dieses Problem könnte schon in dem einen oder anderen Fall akut werden - schließlich warnt sogar Wolfram vor modernen Frauen, die gar nicht so sehr auf einen Ehrenmann des alten, herkömmlichen Zuschnitts stehen, sondern auf ... auf ... tja, genau darüber wollen wir uns heute nicht auslassen. Vielleicht ein andermal, wenn alle diesbezüglichen Quellen von uns ausgewertet sind
Aber nicht dass ihr jetzt meint, der gute Parzival hätte seine Condwiramurs (deren Name übrigens - wie so oft bei Wolfram eine Verballhornung französischer Begriffe - sinngemäß als 'die zur Liebe Hinführende' gedeutet werden kann, und somit die 'weiße Blume' - Blanchefleur - der französischen Vorlagen ersetzt) nur deshalb so ehrenhaft behandelt, weil es ihr an Anmut und weiblichen Reizen fehlte. Im Gegenteil, glaubt man Wolfram, dann war die spätere Gralskönigin ein richtig heißer Feger, um derentwillen (und um ihres Besitzes Willen natürlich auch) sich eine Menge an Herren die Köpfe einschlug.
Schöner als all die Schönen, all die Isolden, Eneiden, Jeschuten und all die, die gemeinhin sonst noch im mittelalterlichen Roman herumirren und auf Rettung warten, war sie zudem ein so sittsames Fräulein, dass all ihre Tugenden Parzival - wieder einmal - die Sprache verschlugen. Aber keine Angst, später werden sie sich manches zu flüstern haben, und wir sind's den beiden auch vergönnt ...
Angemerkt sei hierbei noch, dass Wolfram - indem er Parzival schildert, wie er nun allen Ungestüm abgelegt, der ihn früher noch bedenkenlos Küsse rauben und Unheil anrichten ließ, - er auch die Weiterentwicklung beschreibt, die sein Held zwischenzeitlich genommen. Denn es ist wahre Liebe, die zwischen Parzival und der engelsgleichen Condwiramurs entsteht; Liebe auf einer höheren, einer geistigen Ebene, der erst später die körperliche Erfüllung ... halt, halt, wir verraten's hier noch nicht ...
Jedenfalls ist es eine Liebe, der beide Seiten treu bleiben werden, über die vielen Seiten und die langen Jahre hinweg, die es noch braucht, bis sie endlich als König und Königin auf der Gralsburg angekommen sein werden. Und das, obwohl ihre erste gemeinsame Nacht wenig spektakulär verlaufen ist, wie wir eben erfahren haben. Und das sollte doch Hoffnung geben ..
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