'Vor dem Essen berichtet mir eine Aventiure ...' - Sitten am Artushof
Gemeinhin gilt König Artus dem Mittelalter als der ideale König. Zahlreich sind die Autoren, welche in ihren Werken seine Tapferkeit, Gerechtigkeit und 'milte', also seine Freigiebigkeit rühmen - und damit ihren Auftraggebern einen unverblümten Hinweis darauf ge- ben, mit der Entlohnung nur nicht zu knausrig zu sein. Doch tritt in den bekannten Werken der Artusliteratur die Figur des Königs zunehmend in den Hintergrund: Seine Gefolgsleute sind es, die berühmten Ritter der Tafelrunde, die auf Aventiuren ausreiten um Kämpfe auszutragen und Minneabenteuer zu überstehen.
Der König selbst bildet mit seiner Königin den ruhenden Mittelpunkt dieser höfischen Gesellschaft. Von seinem Hof nehmen die Abenteuer ihren Ausgang, dorthin kehren die Helden nach überstandener Prüfung zurück und werden gebührend bewundert und bejubelt. Denn ihre Pflicht ist es nicht zuletzt, der königlichen Gesellschaft, allen voran dem König, von ihren Erlebnissen zu berich- ten und zu unterhalten. Schlimm nur, für den auf Neuigkeiten erpichten Artus, wenn nun einmal nichts an Bemerkenswertem pas- siert, worüber berichtet werden könnte. Aber auch die Höflinge haben dann zu leiden und zwar nicht nur aus Mangel an Mären, wie auch der folgende Textauszug aus dem 'Wigalois' des Wirnt von Grafenberg erkennen lässt ...
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Wigalois (2/247ff)
Nun hatte der König eine Angewohnheit,
durch die sein Hof sich auszeichnete,
dass er nie zu Tische ging
des Morgens, ehe er nicht etwas
von einem Abenteuer vernommen hatte.
Eines Tages war genau dies eingetreten,
was selten genug geschehen war,
dass man von keinem Abenteuer erfuhr
bis lange über die Mittagszeit;
darüber klagte das Gefolge.
Sie standen und hielten Ausschau.
...
Wigalois (2/247ff)
Nu hêt der künic einen sit -
dâ was sîn hof getiuret mit -
daz er ze tische nie gesaz
des morgens, ê er eteswaz
von âventiure hêt vernomen.
eines tages was ez alsô komen, -
daz doch selten dâ geschach -
daz man niht âventiure sach
unze wol nâch mittem tage;
daz was der ingesindes klage;
si stuonden an der warte hie
...
Anmerkungen:
Die Entstehungszeit Wirnt von Grafenbergs Roman wird auf ungefähr 1220 datiert, also bereits einige Jahre beziehungsweise Jahr- zehnte nach den klassischen höfischen Werken eines Hartmann, Wolfram oder Gottfied, ganz zu schwiegen von den französischen Vorbildern. Zu dieser Zeit hatte sich neben den handelnden Personen bereits die wesentlichen Verhaltensmuster dieser Figuren des arthurischen Romans herauskristallisiert. Unter anderem war Artus selbst zu einer stationären Gestalt geworden, einem älteren Herrscher, der stets reichlich mit den üblichen Attributen des idealen mittelalterlichen Königs ausgestattet wurde, welcher den Mittelpunkt des berühmtesten Hofs und seiner Tafelrunde bildet und sich meist darauf beschränkt, Abenteuer anzustoßen und der Jagd und dem Feste zu frönen.
Daneben jedoch statten ihn manche Autoren der nachklassischen Werke mit einigen weniger idealen Eigenschaften, ja sogar Schrullen aus: So kann er schon einmal (nicht ganz unberechtigt) in Wut geraten, wenn seine Königin eine Tugendprobe nicht besteht - wobei zu ihrer 'Ehrenrettung' erwähnt werden sollte, dass sie dabei bei weitem nicht die Einzige der Edeldamen bleibt -, oder aber mit dem stets pöbelnden und aufsässigen Keie poltern. Auch die im Text angesprochene Angewohnheit, stets zu hun- gern, bis eine neue Geschichte, ein neues Abenteuer eines seiner Ritter 'aufgetischt' wurde, erinnert ein wenig an die seltsamen Eigenheiten, die sich ältere Männer manchmal zulegen.
Nun wird vielleicht der eine oder andere fragen, warum denn dies Anlass für die Höflinge sei, zu jammern? Tja, die mittelalterlichen Sitten sahen es nun einmal vor, dass der Ranghöchste das Mahl zu eröffnen hat. Und wenn dieser streikt, weil an diesem Tag noch keine passende Geschichte sein Ohr erfreut hat, dann heißt es für sein Gefolge gleichfalls zu darben oder sich heimlich und unstan- desgemäß den ärgsten Hunger vom Leibe zu halten.
Zwar kann sich unser Mitgefühl mit den guten Gefolgsleuten in Grenzen halten, da solche ereignislosen Tage an einem Hof, der die besten Ritter beherbergte und der an einen Wald grenzte, der stets ein Abenteuer parat zu haben schien, die Ausnahme darstell- ten. Aber manchesmal konnte es eben doch passieren, dass man zu warten hatte.
Andererseits könnte man diese Angewohnheit nicht einfach nur mit einer Laune eines alternden Königs abtun sondern vielmehr Be- rechnung dahinter vermuten. Denn immerhin zwingt Artus damit seine Gefolgsleute zu Aventiuren, wollen sie nicht ganz vom rit- terlichen Fleische fallen. Und dafür ist ja sein Hof berühmt - für all die wundersamen Abenteuer, die schließlich doch (fast) immer gemeistert werden. Und dafür lohnt es sich schon, hin und wieder bis in die Mittagsstunden zu fasten. Denn spätestens dann er- scheint doch noch eine hilfesuchende Dame oder ein Herausforderer - wie übrigens im Wigalois auch, soviel sei an dieser Stelle be- reits verraten ....
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