'Den vürsten allen wart enboten ...' - Ladung zu Hoftag und Fest
Wann immer es galt schwerwiegende Entscheidungen zu treffen oder wenn wichtige Ereignisse zu begehen waren, wie etwa Krö- nungen, Vermählungen oder Schwertleiten, dann luden die Könige und Fürsten ihre Gefolgsleute an den Hof, um sich mit ihnen zu beraten, aber auch, um mit ihnen gemeinsam zu feiern. Nicht zuletzt schufen derartige Ereignisse und Feste mit ihren festgelegten Regeln und Protokollarien ein Gemeinschaftsgefühl innerhalb der Adelsschicht.
Der folgende kurze Textausschnitt stammt aus dem 'Wigalois' des Wirnt von Grafenberg und schildert, wie nach dem Sieg des jun- gen und selbstverständlich untadeligen Titelhelden über den Teufelsanbeter Roaz zum Hoftag nach Joraphas geladen wird, der Hauptstadt des Königreiches Korntin, das er sich mit diesem Sieg erworben hat.
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Wigalois (22/8674ff)
Allen Fürsten tat man kund
mit Boten in ihre Länder,
dass das Abenteuer bestanden hat
ein Held von hoher Abstammung.
...
Allen Fürsten wurde enboten
mit Briefen und mit Boten
nach Korntin zu kommen.
Dort sollten sie am Hofe sein,
der in sechs Wochen beginnensollte.
So wurde der Hoftag angesetzt
weithin übers Land.
Zu Fuß und zu Pferd
hieß man die Boten sogleich
mit den Briefen in die Länder.
...
Wigalois (22/8674ff)
Den vürsten allen tet man kunt
mit den boten in diu lant,
die âventiure hêt entrant
von hôher art eins helden hant.
....
Den vürsten allen wart enboten,
beidiu mit brieven und mit boten,
daz si kaemen ze Korntîn:
dâ solden si ze dem hove sîn
über sehs wochen.
sus wart der hof gesprochen
über diu lant wîten.
loufen unde rîten
hiez man die boten sâ zehant
mit den brieven in diu lant.
...
Anmerkungen:
Stets waren Hoftage mit abendlichem Fest verbunden, aber auch mit besonderen politischen und gesellschaftlichen Ereignissen. Das Textfragment schildert die Situation, nachdem Wigalois gerade den Heiden Roaz besiegt und dessen Schreckensherrschft über das Land beendet hat. Damit hat er sich damit rechtmäßig in den Besitz dessen vormaliger Herrschaftsgebiete gesetzt. Doch muss der Wechsel der Herrschaft in einem Lehenssystem noch dadurch legitimiert werden, dass alle Gefolgsleute und Vasallen ihrem neuen Herrn den Treueschwur leisten. Dieser symbolträchtige Akt wird üblicherweise groß zelebriert und im Rahmen eines Hoftages publikumswirksam in Szene gesetzt. Diesem Zweck dient das im Text geschilderte Gebot, zum Hoftage zu erscheinen, das durch Boten an alle Herren der Länder ergeht.
Doch dies ist nicht der einzige Grund für dessen Einberufung. Mit dem Sieg hat sich Wigalois auch das Recht auf die Eheschließung mit der schönen Larie erworben. Dieses bedeutsame Ereignis soll selbstverständlich ebenso standesgemäß im Kreise der Gefolgs- leute, deren zukünftige Königin Larie sein wird, vollzogen werden. Dabei wird Larie dem Gemahl nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Besitzungen übereignen.
Die Vorbereitungen für ein derartig großes Ereignis verlangen nach einer langen Vorlaufzeit. Man bedenke allein die Distanzen, welche von den Boten überwunden werden müssen, um alle Einladungen zuzustellen. Selbstverständlich benötigen die geladenen Herren für alle notwendigen Vorbereitungen, die notwendig sind, um standesgemäß bei Hofe erscheinen können, zusätzlich Zeit. In diesem Licht erscheinen sechs Wochen Vorlauffrist nicht mehr allzulang - auch wenn dem zukünftigen Paar die Tage sich wohl wie Monate dehnen ...
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Einer Einladung des Herrn, bei Hofe zu erscheinen, war natürlich Folge zu leisten und entsprach damit einem Gebot, einer Plicht des Gefolgsmannes. Das Nichterscheinen wurde als Beleidigung und Verletzung dieser Pflicht aufgefasst. Was schlimme Folgen haben konnte. So fielen Ottokar von Böhmens Ländereien im Streit mit König Rudolf von Habsburg 1276 an das Reich zurück, unter anderem auch deshalb, weil er es ablehnte, Vorladungen zu Reichstagen zu folgen. Und auch Gorlois, Herzog von Cornwall zog sich den Zorn seines Königs Uther Pendragon zu, als er unerlaubt Lager und Fest des Königs verließ - wobei es wohl weniger seine Abreise war, die den König erboste, sondern vielmehr jene seiner liebreizenden Gattin Igraine, auf der das königliche Auge wohlgefällig geruht hatte. Der folgende Krieg bescherte schließlich dem bemitleidenswerten Gorlois den Schlachtentod, Merlin die Möglichkeit zu einigen Zauberkunststückchen, Uther und der nicht allzulange trauernden Igraine freudvolle Nächte und uns, als Resultat dieser Nächte, immerhin den Besten aller Könige, Arthus ...
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