Si wunderwol gemachet wîp
Das hier vorgestellte Lied stellt ein weiteres sehr bekanntes und kontroversiell diskutiertes Werk aus der Feder des Walther von der Vogelweide dar. Vordergründig als Lobpreisung an eine Dame offenbart es bei genauerere Betrachtung einige interessante Aspekte. Wer nun von den Gelehrten recht hat mit seiner Ausdeutung des Liedes, das lässt sich wohl nicht mehr mit Sicherheit feststellen. Interessant ist ein Blick auf die verschiedenen Betrachtungsweisen allemal ...
Zurück zur Übersicht Mittelhochdeutsch, zum Anschlagbrett, oder zur Hauptseite
Sie wundervoll geschaff'ne Frau
Sie wundervoll geschaff'ne Frau,
dass mir noch ihr Dank werde.
Ich preise ihren lieblichen Leib
in meinem Lobgesange.
Gerne würde ich ihnen allen dienen,
doch habe ich mir diese eine auserkorn.
ein Andrer kennt die Seine wohl:
Sie lob er ohne meinen Zorn;
sei ihm Weise und Wort
mit mir gemein: Ich singe hier, er lobe dort.
Ihr Haupt ist so wunderschön
als sollte es mein Himmel sein.
Wem anders sollte es auch gleichen?
Besitzt es doch den himmlischen Schein.
Da leuchten zwei Sterne herab:
Könnt' ich mich doch darin ersehn,
wenn nah an mir sie sind.
Dann mag ein Wunder wohl geschehen:
Jung würd ich wieder werden, tut sie dies,
und ich Liebeskranker frei von Liebessehnsucht.
Got schuf die Wangen ihr mit großem Fleiß,
bemalte sie mit kostbarer farbe,
meit reinem Rot und reinem Weiß,
hier rosenrot, dort lilienweiß.
Und wär's nicht sündiglich,
so sähe ich sie stets lieber an
als Himmel und den Himmelswagen.
O weh, was lob ich Törichter?
Preise ich sie zu sehr,
dann mag leicht meines Mundes Lob meines Herzen Leid werden.
Sie hat ein Kissen, das ist Rot:
Könnt ich das gewinnen für meinen Mund,
so stünd ich auf aus dieser Not
und wäre für immer gesund.
Wem sie das an seine Wange legt,
der beliebt nah ihr zu bleiben:
es schmeckt, so man's bewegt,
als ob es von Balsam wär.
Das soll sie leihen mir
und so oft sie's wieder will, so geb ich's ihr.
Der Hals, die Hände, jeder Fuß,
sie alle sind nach Wunsche wohl getan.
Sollt' ich dazwischen noch etwas loben müssen,
nun, so wähne ich, ich hab mehr gesehen.
Ungern hätt' ich: 'Bedecke dich!'
gerufen, als ich nackt sie sah.
Sie sah mich nicht, als ihr Pfeil mich traf,
so, dass es mich heut noch schmerzt wie einst.
Heut noch preis ich den reinen Ort,
an dem die Schönste aus dem Bade stieg.
Si wunderwol gemachet wîp
Si wunderwol gemachet wîp,
daz mir noch werde ir habedanc!
Ich setze ir minneclîchen lîp
vil werde in mînen hôhen sanc.
Gern ich in allen dienen sol,
doch hân ich mir dise ûz erkorn.
ein ander weiz die sînen wol:
die lob er âne mînen Zorn;
hab ime wîs unde wort
mit mir gemeine: lob ich hie, sô lob er dort.
Ir houbet ist sô wunnenrîch,
als ez mîn himel welle sîn.
Wem solde ez anders sîn gelîch?
es hât ouch himeleschen schîn:
Dâ liuhtent zwêne sternen abe,
dâ müeze ich mich noch inne ersehen,
daz si mirs alsô nâhen habe!
sô mac ein wunder wol geschehen:
ich junge, und tuot si daz,
und wirt mir gernden siechen seneder sühte baz.
Got hât ir wengel hôhen flîz,
er streich sô tiure varwe dar,
Sô reine rôt, sô reine wîz,
hie roeseloht, dort liljenvar.
Ob ichz vor sünden tar gesagen,
sô saehe ichs iemer gerner an
dan himel oder himelwagen.
owê waz lob ich tumber man?
mach ich si mir ze hêr,
vil lîhte wirt mîns mundes lop mîns herzen sêr.
Sie hât ein küssen, daz ist rôt.
gewunne ich daz für mînen munt,
Sô stüende ich ûf von dirre nôt
unt waere ouch iemer mê gesunt.
Swâ si daz an ir wengel legt,
dâ waere ich gerne nâhen bî:
ez smecket, sô manz iender regt,
alsam ez vollez balsmen sî:
daz sol si lîhen mir.
swie dicke sô siz wider wil, sô gibe ichz ir.
Ir kel, ir hende, ietweder fuoz,
daz ist ze wunsche wol getân.
Ob ich da enzwischen loben muoz,
sô waene ich mê beschouwet hân.
Ich hete ungerne decke blôz!
gerüefet, do ich sî nacket sach.
si sach mich niht, dô si mich schôz,
daz mich noch sticht als ez dô stach,
ich lobe die reinen stat
dâ diu vil minneclîche ûz einem bade trat.
Anmerkungen:
Die Schwierigkeiten bei der Auslegung hängen, wie so häufig, mit der Überlieferungssituation des Liedes zusammen. Es findet sich nämlich in vier Handschriften. Die Strophenzahl ist in all diesen Quellen gleich, doch der Wortlaut und vor allem die Anordnung der Strophen variiert, was die unterschiedlichen Deutungen plausibel macht. Im Wesentlichen werden dabei zwei Interpretationsmodelle vertreten.
Einmal sieht man das Lied als Beschreibung und Lob der Schönheit einer Frau, wobei es in Walthers Epoche verbindliche Regeln da- für gab, wie eine solche Beschreibung, die 'descriptio pulchritudinis' zu erfolgen hatte. Diese Regeln, die man abgekürzt als 'vom Scheitel bis zur Sohle' abwärts zusammenfassen könnte, gehen auf antike und mittellateinische Wurzeln zurück. Intime Körperteile sollten dabei diskret übergangen oder allenfalls unbestimmt gelobt werden ('ich meine, dass auch alles was darunter zu sehen war, ihrer Schönheit würdig war ...').
Ein weiterer Ansatz, der auf derselben Strophenfolge basiert, geht davon aus, dass es sich in dem Lied keine bestimmte Frau, son- dern ein Idealbid der weiblichen Schönheit besungen wird. Die gepriesene Dame des Liedes wäre dabei die personifizierte Liebe, die Göttin Venus. Eine Deutung, die durch das Bild der Schönen, die nackt aus dem Bade tritt, und das an gewisse antike Vorbilder denken lässt, nicht ganz abwegig erscheint. Wenn man dabei denn nicht eher an biblische Vorbilder denkt (ja, auch solche Bilder hat die Bibel zu bieten), an die Erzählung von 'Susanna im Bade' aus dem Buche Daniel nämlich ...
Alternativ gibt es die Ansicht, dass es nicht primär die Lobpreisung der Dame ist, die das Lied bestimmt, sondern vielmehr Kanzo- nenelemente des Minnesangs. Andere sehen im Lied wiederum eher eine Synthese aus höfischem Minnesang und volkssprachlichem Vagantenlied.
Wie dem auch sei, es bleiben davon unabhängig immer einige interessante Aspekte zu betrachten. Einerseits meint man Bezüge auf Walthers Konkurrenten Reinmar herauszulesen, Zitate und Überbietungen. So sagt man ja einigen Liedern Walthers nach, dass man sie nur dann richtig verstehen könne, wenn man auch das jeweils dazupassende Lied Reinmars kennt, auf das Bezug genommen wird. Aber auch den Tabubruch gilt es zu beachten, den Walther im angeführten Werk begeht, indem er erotische Anspielungen macht oder die Dame des Liedes gar nackt auftreten lässt. Nun eigentlich ungewöhnlich nur für den Minnesang, denn wenn man an den zeitgenössischen höfischen Roman denkt, dann findet sich dort einiger Stoff, der noch eindeutiger zur Sache geht ...
Zuletzt soll nicht verschwiegen werden, dass das Lied auch einige Übersetzungsprobleme in sich birgt. Etwa jenes, dass sich das Spiel mit der Doppelbedeutung des mittelhochdeutschen 'küssen' - nämlich 'Küssen' und 'Kissen' - nicht ins Neuhochdeutsche übertragen lässt. Also bleibt es der Fantasie jedes einzelnen Lesers überlassen, sich die Szenerie ganz nach eigenem Gutdünken gedanklich auszugestalten ...
Zurück zur Übersicht Mittelhochdeutsch, zum Anschlagbrett, oder zur Hauptseite
© 2008, Gestaltung und Inhalt: H. Swaton - alle Rechte vorbehalten