Vil süeziu senftiu toeterinne
Heinrich von Morungen, der als klassischer Vertreter der hohen Minnelyrik gilt, darf in unserer kleinen Sammlung mittelhochdeut- scher Texte natürlich keinesfalls fehlen. Interessant ist es allemal, die Lieder dieses ausdrucksstarken und bildgewaltigen Lyrikers mit den Werken anderer bekannter Dichter seiner Zeit, etwa eines Walther von Vogelweide zu vergleichen. Wer von unseren Le- sern jedoch Anhänger eines knallharten Erfolgsdenkens ist, wird an Heinrichs Lyrik wenig Freude haben - schließlich bleibt dem die (körperliche) Erfüllung zumeist versagt. Andererseits ... vielleicht kann ja der eine oder andere diese Situation aus eigener (hoff- entlich nicht dauerhafter) Erfahrung nachvollziehen. Doch nur nicht aufgeben - es bleibt ja immer noch im Jenseits Zeit, wie wir sehen werden ...
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Viel gütige, sanfte Mörderin,
Viel gütige, sanfte Mörderin,
warum wollt ihr mich töten,
wo ich euch doch so herzlich verehre,
und zwar, Herrin, vor allen anderen Frauen?
Glaubt ihr, wenn ihr micht tötet,
dass ich euch niemals mehr beschaue?
Nein: die Liebe zu Euch hat mich genötigt,
dass Eure Seele meiner Seele Herrin ist.
Wird mir hier (im Dieseits) keine Gnade zuteil
von Eurer werten Person,
so muss euch meine Seele bekennnen,
dass sie Eurer Seele dort dienen wird als
einer Frau ohne Makel.
Vil süeziu senftiu toeterinne
Vil süeziu senftiu toeterinne,
war umbe welt ir toeten mir den lîp,
und ich íuch sô herzeclîchen minne,
zwâre vróuwè, vür elliu wîp?
Waenent ir, ob ir mich toetet,
daz ich iuch iemer mêr beschouwe?
nein, iuwer minne hât mich des ernoetet,
daz iuwer sêle ist mîner sêle vrouwe.
sol mir hie niht guot geschehen
von iuwerm werden lîbe,
sô muoz mîn sêle iu des verjehen,
daz iuwerre sêle dienet dort als
einem reinen wîbe.
Zum Autor und diesem Werk:
Über den Minnesänger Heinrich von Morungen sind keine zweifelsfreien Lebensdaten bekannt. Möglicherweise könnte er jener Hendricus de Morungen sein, der 1217/18 in Urkunden des thüringischen Markgrafen Dietrich von Meißen genannt wird. Dieser war Angehöriger des niederen Ritterstandes und hatte seinen Sitz vermutlich auf der Burg Morungen bei Sangerhausen.
Als altgedienter Ritter bezog Hendricus nach dieser Urkunde für seine hohen Verdienste eine Pension des Markgrafen von Meißen. Offensichtlich war er finanziell so weit abgesichert, dass er es sich erlauben konnte, diese Zuwendung einem Kloster überschreiben zu lassen - jenem Kloster in das er wenige Jahre später selbst eintreten sollte. Um die 1220-Jahre dürfte er dann verstorben sein.
Heinrich gilt als herausragender Vertreter des deutschen hohen Minnesanges. Von ihm sind 35 Lieder in Kanzonenform, 115 Stro- phen - allein 104 davon in der Manesseschen Handschrift - überliefert. In seinem Werk finden sich Anklänge an antike Vorbilder, marianischer Hymnik und Trobador-Lyrik, Einflüsse, die er in unnachahmlicher Art zu seiner speziellen Ausdrucksorm der hohen Minne verarbeitet hat.
Charakteristisch in seinem Werk sind Formulierungen, die mit Licht und Glanz zu tun haben - so setzt er oft Sonne, Mond, Sterne Spiegel und Edelsteine ein, um vor dem inneren Auge des Hörers ein Bild der angebeteten Dame entstehen zu lassen. Bildhaft ist der Begriff, mit dem sich seine Lyrik wohl am besten beschreiben ließe und besondere Bedeutung genießt darin auch der Vorgang des bewundernden, anbetenden Schauens.
Und so fragt er im angeführten Lied, das in der Manesseschen Liederhandschrift als letztes seiner Werke angeführt ist, die angebe- tete Dame auch, ob sie, die gütige, sanfte Mörderin - welch ein Widerspruch (Oxymoron) der Begriffe bereits in dieser ersten Zeile, denn wie vermöchte eine Mörderin ihrem Opfer gegenüber zugleich gütig und sanft sein - ob sie denn meine, dass er sie nicht mehr bewundernd beschauen werde, nachdem sie ihn getötet hätte? Und zwar dadurch getötet, dass sie seine Minne nicht erwiederte. Beschauen im Sinne von Besehen und Erkennen des Guten, Liebenswerten.
Und hier kommt eine typische Reaktion Morungscher Minnelyrik: Anstatt der unwilligen Dame die Verehrung zu entziehen, die er, der Sänger, ihr vor allen anderen Frauen zuteil werden lässt, verspricht, ja droht er, den Dienst an ihr, die Bewunderung auch im jenseits für alle Zeiten von seiner Seele fortführen zu lassen. Er akkzeptiert die Ablehnung der Dame als Bestandteil der gegen- seitigen Beziehungen. Andere mögen sich gekränkt zurückziehen und ihre Künstleraugen getreu dem Motte 'andere Weiber haben auch schöne Kinder' herumschweifen lassen - er hingegen legt noch ein Schäuflein nach und macht klar, dass an ein Entkommen auch im Jenseits nicht zu denken ist. Auch wenn nie an eine (körperliche) Belohnung zu denken ist - wie sie etwa Neidhart oder Walther mit durchaus nachvollziehbaren Argumenten einfordern -, so lässt Heinrich nicht vom Objekt der Begierde ab, das damit wohl mehr schon zu einer Idee wird, denn eine Frau aus Fleich und Blut zu sein - ein Fetisch. Die Minne selbst ist das Ziel, nicht deren Erfüllung. Das ist hohe Minne!
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