Schreibung und Aussprache mittelhochdeutscher Texte - Teil 2
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Über die Schreibung der originalen mittelalterlichen Handschriften ...
... müsse man nun wirklich nicht Bescheid wissen, werden manche an dieser Stelle ausrufen. Lesen - na gut! Lesen mittelalter- licher Texte in neuhochdeutscher Übertragung ... geht gerade noch so, wenn's denn auch im Kino leichter zu verfolgen ist, wenn Beowulf Grendel filetiert und zerlegt. Lesen mittelhochdeutscher Texte in aufbereiteter Form - wenn möglich mit einer Übersetzung zur rechten Hand - wenn's denn unbedingt sein muss. Aber aus den Originalhandschriften lesen, nein, das geht nun eindeutig zu weit. Einerseits kann die Suche nach dem Sinn des Geschriebenen schon mal in eine Irrfahrt ausarten, die in ihren Mühen denen des sinnsuchenden Parzivals um nichts nachsteht. Und andererseits ermangelt es allen von uns, verschließen wir nicht die Augen vor bitteren Wahrheit, im trauten Heim an den pergamentenen Schätzen selbst.
Dennoch soll unser heutiger Beitrag nicht so schmählich an dieser Stelle versanden. Immerhin, so mag ja der eine oder andere ein- wenden, das Erbschloss, das uns nach Erbonkel Liutbolds traurigem Verscheiden zufallen wird, könnte in seinen verwinkelten Hallen und Gewölben noch manch Unentdecktes verbergen. Den längstvermissten Karrenritter Hartmanns etwa oder die Geschichte des Lifort Gawanides, die Wirnt von Grafenberg schließlich doch noch verfasst hat. Und dann gibt es ja auch noch die Leute, die ihre Bibliothek bevorzugt mit Faksimileausgaben der alten Schriften veredeln. Ach ja, und Studium oder bloßes Interesse könnten wei- tere Gründe sein ...
Was macht nun die Lesung mittelalterlicher Originale, speziell auch mittelhochdeutscher, so schwierig für uns? Nun, im Mittelhoch- deutschen gab es, so wie im vorangehenden Althochdeutschen, keine geregelte Orthographie. Man stand vor dem Problem, mit den Zeichen der lateinischen Schrift die Laute der (deutschen) Volkssprache darzustellen. Die Verwendung von Schriftzeichen, die aus einer fremden Sprache stammen, lässt aber immer einen großen Spielraum für das Ermessen eines Autors, wie die Schreibung von Begriffen zu erfolgen hat. Speziell wenn es keine verbindlichen Regeln dazu gibt. (Deutschlehrer behaupten ja, dass Schüler heutzutage immer noch einen großen Spielraum ausschöpfen, obwohl es mittlerweile verbindliche Vorgaben gibt ...) Man denke hier nur einmal an die vielen Ausspracheeigenheiten des Bairisch/Oberösterreichischen, für die keine speziellen Zeichen zur schriftlichen Darstellung zur Verfügung stehen.
Es lag also prinzipiell im Ermessen des Autors beziehungsweise in jenem des Schreibers, wie die Information aufgezeichnet wurde. Dass sich dabei gewisse Gepflogenheiten durchsetzten, von lokalen Gewohnheiten geprägt, von Eigenarten einer Schreibschule, etc., versteht sich von selbst. Man kannte Texte anderer Autoren, Vorlagen, verwendete deren Ausdrücke und häufig auch die dortige Schreibweisen. Demnach kann von einer vereinheitlichten Schreibweise noch lange nicht gesprochen werden, wohl aber können einige Schreibgewohnheiten angeführt werden.
So wurde häufig (aber nicht immer) auf Interpunktionszeichen verzichtet. Der Punkt beginnt erst ab dem 15, Jahrhundert zuneh- mend das Satzende zu kennzeichnen. Zuvor bezeichnete er häufig das Versende oder diente wie die Virgel (/), der Vorläuferin des Kommas, zur Kennzeichnung von Lesepausen.
Die Groß- und Kleinschreibung ist nicht einheitlich geregelt. Häufig finden sich Großbuchstaben nur am Anfang eines Verses oder eines Satzes. Ebenso finden sich Abweichungen bei der Getrennt- und Zusammenschreibung. Dehnungs-h und Verdoppelung von Vokalen und Konsonanten zur Kennzeichnung von Dehnungen und Kürzen bei der Aussprache fehlen.
Umlaute und Diphtonge werden oft durch sogenannte diakritische Zeichen diakritische Zeichen , das sind übergesetzte Buchsta- ben, gekennzeichnet. Dabei finden sich auch Kombinationen, etwa o über u für uo, deren lautliche Entsprechungen im modernen Neuhochdeutsch nicht mehr auftreten, wohl aber im Dialekt (So findet sich die angegebene Kombination uo etwa in der bairisch/ oberösterreichischen Aussprache von Mutter, Bruder). Merke: In 'mittelhochdeutscher Zeit' gab es kein Hochdeutsch, nur lokale Dialekte! Und da mittelhochdeutsche Texte stärker Merkmale der gesprochenen Sprache aufwiesen ( Lautabschwächungen, Aus- lassungen, Wörterverschmelzungen) als Texte in unserem modernen Deutsch, erklären sich auch die starken lokalen Abweichungen in der Schreibweise.
Eine leichte Erschwernis erfährt der Lesewillige dadurch, dass die Zeichen u, f, v, w, i, j unterschiedlich auszusprechen sind. So kann das v aussprachemäßig ein [u] darstellen oder aber ein [f]. Die Zeichen i und j können auch den jeweils anderen Laut dar- stellen ... Zumeist erkennt man aber aus dem Zusammenhang, welcher laut mit dem verwendeten Buchstaben denn nun gemeint ist. Auch das [s] kann in verschiedener Form auftreten (hûs, grôz, in Form des 'langen s'), während etwa das z im Anlaut wie auch heute noch den Lautwert [ts] darstellt, sc für [sch] steht ....
Noch schwieriger wird die ganz Angelegenheit dadurch, dass die mittelalterlichen Schreiber gerne Abkürzungen gebrauchten, deren Sinnhaftigkeit uns heutzutage nicht mehr ins Auge sticht. Und so wie es Abkürzungen an sich haben, machen auch diese Schreib- faulheiten das Schriftbild unübersichtlicher. Beispiele gefällig?
vo meint von, der Überstrich kann also das Kürzel für ein n oder m darstellen. Dagegen steht un für und. Ein hochgestelltes s ist durch 'er' zu ersetzen, ein hochgestelltes a durch 'ra', usw.
Wie man sieht, gibt es eine Menge an Erschwernissen, die sich in dem wild entschlossenen Leser von originalen Handschriften in den Weg stellen. Sei es darum. Ab nun wissen wir die Fürsorge der Herausgeber mittelhochdeutscher Texte umso mehr zu schät- zen, die uns durch die einheitliche Regelung der Schreibung den Zugang zu deren Inhalten vereinfachen. Wie sie das anstellen, da- rüber sei bei nächster Gelegenheit berichtet.
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