Walthers Traumlied
Das berühmte Traumlied des Walther von der Vogelweide ist in mehrfacher Hinsicht interessant: Einerseits durch seine inhaltliche und formale Schönheit, in denen sich Walthers Kunstfertigkeit manifestiert. Andererseits ist Lied nach wie vor Anlass zu kontrover- ser Diskussion und Interpretation. Egal, möge nun jeder selbst davon unbeeindruckt den Text lesen und darauf lauschen, was ihm der große mittelalterliche Lyriker zu sagen hat ...
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Walthers Traumlied
'Nehmt, Herrin, diesen Kranz',
so sprach ich zu einem wohlgestalteten Mädchen,
'so ziert ihr den Tanz,
mit den schönen Blumen, wenn ihr sie dann am Haupte tragt.
Hätte ich viel edle Steine,
die müssten auf euer Haupt
mögt ihr mir das glauben.
Seht meine Treue, dass ich es so meine.
Ihr seid so wohl geschaffen,
dass ich euch meinen Kranz gerne geben will,
den besten den ich habe.
Ich weiß von weißen und von roten Blumen:
die stehen nicht ferne in jener Heide.
Dort wo sie herrlich aufsprießen
und die Vögel singen,
dort wollen wir sie gemeinsam pflücken.'
Sie nahm, was ich ihr bot,
ganz wie ein Kind, das höfischen Anstand besitzt.
Ihre Wangen wurden rot,
der Rose gleich, die bei Lilien steht.
In ihre strahlenden Augen trat der Scham,
doch verneigte sie sich anmutig vor mir.
Das wurde mir zum Lohn.
Wird mir mehr, dann werde ich darüber schweigen.
Mir dünkte, dass ich noch nie
glücklicher war, als mir nun zumute war.
Die Blumen fielen immerzu
vom Baum auf uns nieder, in das Gras.
Seht, da musste ich vor Freude lachen.
Da ich so voller Wonnen
im Traume schwelgte,
da tagte es und ich erwachte.
Mir ist durch sie widerfahren,
dass ich ich diesen Sommer allen Mädchen
tief in die Augen sehen muss.
Fände ich sie wieder, so wär ich aller meiner Sorgen ledig.
Ob sie wohl zu diesem Tanze geht?
'Herrinnen, seid so gütig,
rückt die Hüte höher!'
Ach, sähe ich sie doch bekränzt!
Walthers Traumlied
'Nemt, frouwe, disen kranz!'
álsô sprach ich zeiner wol getânen maget,
'sô zieret ir den tanz,
mit den schœnen bluomen, áls ir si ûffe traget.
het ích vil edele gesteine,
daz müeste ûf iuwer houbet,
óbe ir mirs geloubet.
sêt mîne triuwe, daz ichs meine.
Ir sît sô wol getan,
daz ich iu mîn schapel gerne geben wil,
sô ichz áller beste hân.
wîzer under rôter bluomen weiz ich vil:
die stent niht verre in jener heide.
dâ si schône entspringent
und die vogele singent,
dâ suln wir si brechen beide.'
Sie nam daz ich ir bôt
einem kinde vil gelîch daz êre hât.
ir wangen wurden rôt
same diu rôse, dâ si bî der liljen stât.
do erschâmpten sich ir liehten ougen.
dóch neic si mir schône.
daz wart mir ze lône:
wirt mirs iht mêr, daz trage ich tougen.
Mich dûchte daz mir nie
lieber wurde, danne mir ze muote was.
die bluomen vielen ie
von dem boume bî uns nider an daz gras.
seht, dô muost ich von fröuden lachen.
di ich sô wünneclîche
was in troume rîche,
dô tagete ez und mouse ich wachen.
Mir ist von ir geschehen,
daz ich disen sumer allen meiden muoz
vaste únder d' ougen sehen:
lîhte wird mir einiu: so ist mir sourgen buoz.
waz óbe si gêt an disem tanze?
frouwe, durch iuwer güete
rucket ûf die hüete
ôwê gesæhe ich si under kranze!
Anmerkungen:
Walthers Traumlied gilt unbestritten als eines der anmutigsten und schönsten Lieder des großen Lyrikers. Häufig wurde es in die Kategorie der sogenannten 'Mädchenlieder' eingeordnet, das sind Lieder, die nicht mehr die 'hohe Minne' thematisieren, in denen das Objekt der Minne also keine unerreichbare Dame von hohem Stande ist, sondern ein einfaches Mädchen und in denen die Liebe auch Erfüllung findet. Als weiterer Vertreter dieser Gattung sei hier das berühmte Lindenlied erwähnt.
In jüngerer Zeit wird diese Klassifizierung jedoch zunehmend hinterfragt. Beim Traumlied etwa handelt es sich um ein Erzähllied: Ein Erzähler berichtet von einem (erträumten) Erlebnis. Darin benennt er die umworbene Liebste sowohl als 'maget', eine Bezeichnung, die ein Mädchen von einfachem Stand bezeichnen kann, spricht sie jedoch auch als 'frouwe', also als Herrin und adelige Dame an. Auch ist ihr Benehmen das einer höfischen Dame. Klar ist jedenfalls der Aufführungskontext: Das Publikum war ein adeliges. Viel- leicht ermöglichte nun eine gewisse Unbestimmtheit, ein Nichtfestlegen des Standes der Minnepartnerin, gewagtere Liedinhalte, in denen die Werbung auch ihre Erfüllung finden konnte.
Denn darüber besteht nun kein Zweifel, dass die beschriebene Beziehung zu eindeutigen wonnevollen Handlungen führt - dazu sind die erotischen Anspielungen zu deutlich. Immerhin findet sich die Umschreibung des 'Brechens oder Pflücken von Blumen' bereits in der antiken Literatur und allethalben bei den mittelalterlichen Lyrikern. Dass dabei häufig weiches Gras und singende Vögelein als Requisiten auftreten, sei ebenfalls angemerkt.
Wie wird nun so ein Lied, in dem der Sänger Liebeslohn für den Minnedienst einfordert, auf die höfische Gesellschaft, auf die adeli- gen Damen, denen diese Lieder gewidmet waren, gewirkt haben? Schockierend? Oder steigerten sie das Interesse? Wir können es nicht mit Sicherheit sagen. Jedenfalls weiß sich Walther im vorliegenden Text gegen allzuviel Entrüstung zu helfen. Denn zu guter Letzt sagte er, es wäre ja alles nur geträumt ... Damit steht seine Text auch sogenannten Lügenliedern nahe, deren Fiktionalität manch Gewagtes zulassen kann.
Leider können wir uns mit dieser Auslegung aber immer noch nicht allzu sicher sein. Denn es existieren mehrere Handschriften, in denen der Text überliefert wird. Und in diesen Handschriften ist die Anordnung der Strophen nicht einheitlich, ja selbst deren volle Zahl wird nicht überall erreicht. So stellt die oben wiedergegebene Gliederung nur eine von mehreren möglichen dar, über die diskutiert wird.
Die ersten der Strophen für alleine betrachtet, spiegeln eine pastourellen-ähnliche Situation wider, also eine Begegnung in idyl- lischer Natur. Soweit so gut. Nun nehme man das Lied und entferne zuerst die 5. Strophe. Dann liest sich ganz klar: Der Erzähler hat alles nur geträumt (und besitzt somit) unser tiefstes Mitgefühl! Lässt man aber stattdessen die 4. Strophe wegfallen, dann hat sich das geschilderte Ereignis tatsächlich zugetragen und der Erzähler versucht verständlicherweise durch die abschließende Su- che sein Erlebnis zu wiederholen ... Wäre es denkbar, dass dies vom Autor vielleicht genau so beabsichtigt war? Nämlich das Lied je nach Aufführungssituation unterschiedlich aufzuführen? Auch das können wir nicht mit Sicherheit beantworten.
Zu guter Letzt sei noch erwähnt, dass die Spekulationen noch viel weiter getrieben werden können. So spiegeln der kunstvolle Rhythmus und die Wortsetzung den Inhalt des Liedes, nämlich die Werbung beim (Reigen-)Tanze, wieder. Vielleicht, so die Ver- mutung, sollte das Lied die Zuhörerschaft genau zu dazu animieren und nach einem Vortrage, den man lauschte, zum Reigentanze überleiten ...
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