Brunnen und Quellen, Teil 1 ... Jugend und Erotik, Leben oder Tod
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'...
den brunnen ich dar under sach
und swes mir der waltman veriach.
ein smâreides was der stein;
ûz iegelîchem orte schein
ein als gelpfer rubîn,
der morgensterne mohte sîn
niht schœner, swenner ûf gât
und in des luoftes truebe lât.
...
und riet mir mîn unwîser muot
der mir vil ofte schaden tuot
daz ich gôz ûf den stein.
...'
Wenn im 'Iwein' des Hartmann von Aue nacheinander die Artusritter Kalogreant und Iwein auf der Suche nach einer Aventüre oder im Bestreben, die Schmach des Verwandten zu rächen, zu einem gefassten Quell im Wald gelangen, dann braucht es nicht den tafelrundekundigen Leser, um vorherzusagen, dass sich bald Wunderliches ereignen wird. Auch nicht der Beschreibung dieses Brunnens, der prächtig glitzernd, ganz aus Smaragd gemacht, jedem unbesonnenen Fahrenden erscheinen muss wie der Honigtopf dem hungrigen Bären.
Zumal die beiden wackeren Rittersleut dort, im Schatten der majestätischen Linde, im aufgeregten Gezwitscher des prächtigen Vogelvolks selbstverständlich den ihnen beschriebenen Empfangsmechanismus betätigen, indem sie mit dem Wasser der eigens dafür vorgesehenen goldenen Schale die Brunnenfassung beträufeln. Anderes hätten wir auch schwerlich von ihnen erwartet, denn wenn sie selten genug vorsichtigen Klugheit walten lassen, so kann man ihnen jedenfalls den Mut nicht absprechen.
Gold und Brunnen? Kennen wir das nicht von anderer Seite? Wissen diese Geschichte nicht bereits unsere Kinder zu erzählen? Die von der unvorsichtigen und unbedachten Prinzessin nämlich, die ihren goldenen Ball beim Spiel ins Wasser eines anderen Quells versenkte und sich daraufhin unvorsichtig dem glitschigen Froschkönig versprach? Wie oft finden sich Märchenhelden nicht unvermittelt an Brunnen wieder, wie oft finden dort schicksalshafte Begegnungen statt. Fast schon selbstverständlich erscheint uns da, dass der Abstieg des Goldmariechens in die Unterwelt der Frau Holle durch einen Brunnenschacht zu erfolgen hat. Doch vorsicht, nicht immer führt dieser Weg ins Glück, wie die neidige Pechmarie bald darauf leidvoll am eigenen Leib erfahren muss.
Wenn wir uns wieder der Geschichte vom Froschkönig besinnen oder auch jener vielen amorösen Abenteuer am Quell, die der Held mittelalterlicher Begegnungen mit weiblichen Wasserwesen und Nymphen erlebt, an die Undinen- und Melusinensagen, dann zeigt sich der Brunnen recht häufig als Ort der mehr oder weniger subtilen erotischen Begegnung. Und ist nicht jener Quell, an dem Iwein den Brunnenwächter Askalon fordert und auf den Tod verwundet, symbolisch für Laudine zu setzen, die Frau des Wächters, die der Artusritter mit seinem Sieg (auch sexuell) gewinnt?
Doch vorsicht und nicht zu früh gefreut, wenn ihr im Wald einen solchen Born erblickt. Denn anstelle heißer erotischer Abenteuer mit zartgliedrigen Schönheiten könnte euch dort auch der kalte Stahl des Meuchlers erwarten, wie dereinst den vom Wettlauf erhitzten Siegfried.
So stellt der Brunnen vielfach auch ein Tor ins Jenseits dar, in die Anderwelt, wie sie den Kelten stets gegenwärtig war. Der Abstieg in den Brunnenschacht kann einen Wechsel der Realitäten bewirken, indem die Wagemutigen in eine andere Welt eintreten, wo sie eine tiefgreifende Änderung erfahren können und aus der sie je nach ihrem Charakter belohnt oder bestraft zurückkehren.
Das Vorstellung des reinigenden Bades im Brunnen führt uns schnell zur Vorstellung des Jungbrunnens zurück, jenes wunderbaren Wassers des Lebens, das den darin Badenden die Last der Jahre abnimmt und sie an Leib und Seele wieder zum Jüngling, zum begehrenswerten Mädchen werden lässt. Und äußert sich die Jugend nicht vor allem auch in ihrer sexuellen Leistungsfähigkeit? (Wir erwähnen in diesem Zusammenhang den früher geübten Brauch junger Frauen, im Hollenteich auf dem Hohen Meißner zu baden, um fruchtbar zu werden).
Womit wir wieder beim Ausgangspunkt unserer Betrachtungen wären - dem Brunnen oder Quell als Ort, an dem es erotisch knistert; zugleich aber kann er auch, weil er die Welt mit dem lebensspendenden Wasser versorgt, als Ursprung des Lebens gelten (und eindeutig hat Erotik ja auch ganz unmittelbar mit dem Ursprung des Lebens zu tun). Dass der Schoß der Frau nicht selten als Quell des Lebens oder gar als Ursprung der Welt bezeichnet wird, scheint aus dieser Betrachtungsweise heraus ganz natürlich ...
Nicht unerwähnt soll an dieser Stelle bleiben, dass der Quell mit seiner reinigenden Kraft auch für das christliche, ja ganz allgemein für religiöses Denken insgesamt eine große symbolische Deutungskraft aufweist, wie bereits das Lied der Lieder, das Hohe Lied Salomons so beeindruckend verdeutlicht. Dieses umfangreiche Thema muss jedoch einem eigenen Beitrag vorbehalten bleiben, auf den wir euch wieder einmal vertrösten ...
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