Hirsch und Hinde - Teil 1 ... oftmals mehr, als nur simple Jagdbeute
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'... in quo certamine Franci a nostris devicti, cum flumen Moin dictum sine aliqua vadi certidudine palantes transire cogerentur, cervam precedentem et divina miseracione quasi viam eis demonstrantem subsequuti optati littoris securitate pociuntur laeti ...'
('... in diesem Kampf wurden die Franken von den Unsrigen besiegt; als sie sich nun, unkundig einer Furt, über den Main zurückziehen mussten, ging ihnen voran eine Hirschkuh hinüber und zeigte ihnen durch göttliches Erbarmen gleichsam den Weg. Sie folgten ihr und erreichten frohen Mutes das rettende Ufer ...')
(Thiethmar von Merseburg, Chronik VII, 75)
Eine Hirschkuh oder Hinde war's also, die dereinst mit ihrem Erscheinen den großen Frankenkaiser Karl nach schmächlicher Niederlage vor Schlimmeren bewahrte und derart - wie uns Thiethmar in seiner 'Chronik' versichert, nebstbei auch für die Namensgebung der dortigen Siedlung, Frankfurt, wesentlich mitverantwortlich zeichnete.
Thiethmar motiviert Karls Entscheidung zum Rückzug übrigends mit der weisen Überlegung, dass es besser wäre zu fliehen und die daraus resultierenden Folgen - Schimpf und Schande - zu ertragen, denn am Ort der Niederlage heroisch fechtend unterzugehen. Ein schönes Beispiel für langfristiges, strategisches Denken, denn so, so der weise Herrscher, bliebe immerhin noch die Möglichkeit für eine spätere Revanche ...
Dass dann, gerade im rechten Augenblick, eine Hinde auftauchte, die dem geschlagenen Heerhaufen den Weg zur rettenden Furt wies, muss den Bedrängten wohl als Wunder erschienen sein, dürfte sie zugleich aber nicht unmäßig überrascht haben. Immerhin galt Karl seiner und auch späteren Zeiten als der christliche Herrscher schlechthin, der alles daransetzte, um aus rückständigen Heiden gute Christenmenschen zu machen. Und dass einem solchen Herrn nichts weniger als göttlicher Beistand von ganz oben gebührte, das war nur recht und billig.
Uns, den aventiuren- und märengestählten Lesern mitelalterliche Literatur, überrascht es natürlich nicht, wenn als Führer in der Not ausgerechnet ein Hirsch erscheint, oder, wie in Karls Fall, mit der Hinde seine bessere weibliche Hälfte, lesen wir doch von vielen Gelegenheiten, in denen die majestätischen Tiere sich als Boten des Übernatürlichen zeigen um Rettung zu bringen oder aber den Helden in wundersame Abenteuer zu verwickeln. Schließlich weiß auch Gregor von Tours in seiner 'Historia Francorum' von einer Hinde zu berichten, die einem Gebet König Chlodwigs folgend, diesen eine Furt durch die Vienne entdeckt habe.
Wenn's dann ausgerechnet noch eine weiße Hirschkuh ist, die Fürsten und Fürstensöhne weg von ihren Jagdgesellschaftern lockt, dann ahnen wir bereits, wie Fontane, dass unseren Helden manch Abenteuer erwartet, an dessem Ausgang nicht selten die Belohnung durch eine schöne (Feen-)Frau winkt, dem Heinrich die Rosamunde, den ritterlichen Recken der bretonischen Lais und Sagen ein Quell in dem das goldlockige Feenfräulein lasziv plätschert oder ein Palast, in dem sie ihn bereits mit heißglühenden Wänglein erwartet. Oder aber, es ist die Hinde selbst, die sich nach erfolgreich bestandener Aufgabe in das wunderschöne Mägdelein zückverwandelt.
Zu unserem Bedeuern müssen wir berichten und warnen, dass nicht in allen Geschichten als Ausgang derartiger Aventiuren die Freuden der Liebe warten, sondern dann und wann auch schon einmal ein missgünstiger Zauberer oder ein gewaltiger Riese, ein Menschenfresser gar; solches verweist zurück auf die alte Bedeutung des Tieres als Unterweltsführer, ebenso wie jene Geschichten, in denen die Hinde als Vorankündigung bevorstehenden Todes erscheint.
Aber nicht nur die Hinde, auch der Hirsch (von mhdt 'hirz(e)' ahdt. 'hir(u)z' , der 'Gehörnte') kann als starkes, mächtiges Tier in anderer Bedeutung als in der eines reinen Jagdwildes erscheinen; insbesondere dann, wenn ihm spezielle Attribute beigeben sind, wie etwa das zwischen seinem Geweih schwebende Kreuz - wie dies im obigen Bild zu ersehen ist. In diesem Kontext bewirkt das Erscheinen eines solchen Tieres nicht selten die Bekehrung des Helden zum Glauben ...
Darüber hinaus, im Rückschau der Zeiten, galt der Hirsch vielen Naturvölkern als Sinnbild der unbesiegbaren Sonne, als Beschützer und Wegweiser. Kämpfende Hirschen können für die Auseinandersetzung zwischen Licht und Dunkel stehen und infolge ihres sich stets erneuernden Geweihs liegt der Zusammenhang mit Fruchtbarkeit und Erneuerung des Lebens auf der Hand. So vermag es uns kaum zu verwundern, wenn wir von der heilkräftigen Wirkung vieler seiner (eigentlich aller seiner!) Körperteile (wir überlassen es euch, zu erraten, welche dieser Teile zum Sud verkocht, Lust und Fruchtbarkeit erhöhen sollten; häufig wird auch das zum Pulver zermahlene Horn als Mittel gegen Verhexung genannt, ...) hören.
Der Antike galt der Hirsch als Seelenführer und als der Jagdgöttin Artemis zugehörig, der er manchmal auch als Reittier dient; nicht überraschend ist es die Hirschgestalt, in die sie den allzu neugierigen Aktäon verwandelt, nachdem er sie heimlich beobachtet hat (- aber wer könnte ihm das verdenken: immerhin eine Göttin, nackt, beim Baden!).
Im frühen Christentum wurde das Tier zum Symbol des Täuflings beziehungsweise zu jenem der Seele, der es nach Gott verlangt. Der Hirsch, vom Löwen verfolgt, meint die Seele, die vom Teufel verfolgt wird. Darstellungen von Hirschen, die sich am Wasser des Lebens laben, finden sich auf Mosaiken jener Zeit, aber auch auf Taufsteinreliefs. Hirsche können Schlangen - Sinnbilder des Bösen - aus der Erde ziehen und, ohne Schaden zu nehmen, fressen. So kann der Hirsch mit Christus selbst verglichen werden
Attribut vieler Heiliger, eines der Kennzeichen der Tugend, Zugtier am Wagen der Zeit, Todesbote, menschensäugende Hinde - diese (längst nicht vollzählige) Stichwortliste belegt, welch gewichtige Stelle der Hirsch im Denken unsere Vorfahren eingenommen hat. Grund genug, wie wir meinen, uns zukünftig noch etwas genauer diesen einzelnen Rollen zuzuwenden ...
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