Liebesorakel: Zu Andreas, am 30. November, mag man gut losen ...
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Leidgeprüfter Vater einer oder - Gott behüte! - mehrer pupertierender Töchter? Ratlose Mutter? Seltsames Gebaren des Sprösslings? Euer Mägdelein hüpft neuerdings aufgebracht aufs Bett, tritt wütend gegen die Bettlade oder schüttelt sie? Zerzaust auch die Zipfel der Bettdecke? Rüttelt am Garten- oder Erbzaun, an der Wäschestange oder einem Baum? Tritt die Münzen, die ihr gönnerhaft gerade überreicht habt? Läuft ein ums andere Mal zum Kamin, schaut den Rauchfang (Schornstein) hinauf? Nun, wenn sie denn gerade nicht Schaum vor dem Mund hat und dies eigenartige Verhalten vor Kurzem sich zutrug, dann kann es zwar, muss aber nicht das Schlimmste bedeuten.
Vor allem, wenn sie das alles (den sabbernden Nachbarn zur Freude) nackig vollbringt; wenn sie vielleicht sogar in selbiger Aufmachung begonnen hat, die gute Stube zu fegen. (Wobei man sich nun fragen müsste, was denn seltsamer zu bewerten ist: die textile Ausnahmesituation oder der unvermittelte, so noch nie gesehene Arbeitseifer. Aber vorab: Sorgt euch nicht, letzterer hält nur einen Tag). Warum, fragt ihr nun, sollte all dies kein Grund zur Sorge sein? Weil Klein-Töchterlein, wenn sie all das Geschilderte am 30. November begangen hat, nur altes Brauchtum befolgt - und das ist nun allemal etwas Lobenswertes.
Zugegeben, wir wussten erst auch nicht wie uns geschah. Derart geprüft gedachten wir schon den Medicus oder gar einen Gottesmann zu Hilfe zu rufen. Doch dann erahnten wir, dass der rasch verflogene Irrsinn mit dem Datum zu tun haben müsste - eben jenem erwähnten Andreastag (ihr erinnert euch - wir berichteten hier über den Apostel Andreas und den 30. November). Denn, so wussten wir, jener Tag gilt als Ende des Kirchenjahres - und Jahreswechsel sind auch stets Lostage, also Tage, an dem es dem Kundigen möglich ist, einen Blick in die Zukunft zu tun (man denke nur an das silvesterliche Bleigießen).
Ihr ahnt es längst, worum es bei Töchterchens Toben gegangen: ein Liebesorakel ist's (mehrere sogar, man ... frau ... fräulein will schließlich versichert sein), das genau an jenem einn Tag begangen werden muss, um Auskunft zu erlangen über den Künftigen! Aber nicht irgendwie, sondern recht muss es begangen sein, nach den althergebrachten Regeln. Darum ist auch ein Sprüchlein zu sprechen (das je nach Landstrich variieren kann) beim Knien, beim Treten oder rückwärts aufs Bette steigen (Mit dem richtigen - linken - Fuß! Und vorsicht bei Stockbetten!!!). So oder ähnlich kann dieses sogenannte Andreasgebet klingen, wenn ihr dabei vor der Türe lauscht:
'Heiliger Andreas, ich bitt' dich,
Bettstatt, ich tritt dich,
lass mir erscheinen
den Herzallerliebsten mein.'
Natürlich kann die Bitte an den freundlichen Andreas, der traditionell als Vermittler der Ehe gilt und als solcher von den Mädchen angerufen wird, gerne auch ein weniger direkter sein - als Gebet würden wir den folgenden Spruch allerdings nicht mehr bezeichnen:
'Andresgen, Mann, Bescherer!
Du treuer Jungfern Lehrer,
hier steh ich splitternackt!
Wann wird die Stunde kommen,
dass einer mich genommen,
und mein Brautbett knackt?'
Nun ja, wir wollen nicht weiter auf diese Art von Anfragen nicht weiter eingehen. Wohl aber erwähnen, dass es eine Unzahl regionaler Orakelgebräuche gibt, die es ermöglichen sollen, den Zukünftigen zu erkennen - von den trivialen (die etwa den ersten Jüngling, dem das Mägdelein am Andreastag begegnet, als ihren Bräutigam prophezeien oder das in Erfüllung gehen lassen, was und wen ihr der Traum in der Andreasnacht bekundet). Das Rütteln an Baum oder Zaun soll den Bräutigam physisch herbeirufen (allerdings besteht dabei eine gewisse Wahrscheinlichkeit, stattdessen einen sensationsheischenden Auflauf hervorzurufen).
Nussschalen mit Kerzlein in wassergefüllten Schüsseln, je eine für jedes anwesende Mägdlein, eins mit dem Namen des Angehimmelten - welches Pärchen sich auf hoher See als erstes trifft, wird das nächste Hochzeitspaar sein - dass da schon mal ordentlich geblasen wird ... Schuft, wer jetzt Schlechtes denkt! ..., dürfte wohl einem jeden klar sein. Apfelschalen, in eine lange Schlange geschält, vom Mädchen hinter die Schulter geworfen, verraten eventuell den Anfangsbuchstaben des Zukünftigen. Wir haben übrigens einen Selbstversuch gestartet - das Ergebnis seht ihr am obigen Bild dokumentiert. Ganz schön gut fürs erste Mal, nicht wahr?
Natürlich gibt's auch die Möglichkeit, einen Blick aufs wonnige Antlitz des zukünftigen Herzschätzleins auch außerhalb des Traums zu tun - hilfreich dafür sind die üblichen Verdächtigen: Spiegel und Feuer. Wenn's denn noch einen ordentlichen Stapel Holz vor der Hütte gibt, dann kann das mutige Mädel auch einen Scheit aus seiner Mitte ziehen. Ist es gerade und stark, wird auch der Bräutigam derart gestaltet sein; wenn's ein krummes, dürres ist, dann ... nun, dann heißt's, rasch zurückgesteckt in den Stapel und hoffen, dass es keiner gesehen hat.
Die hier aufgezählten, zuverlässigen Methoden stellen nur einen sehr kleinen Auszug aller Möglichkeiten derartigen Erkundens dar; zusammenfassend wollen wir immerhin noch bemerken, dass nach übereinstimmenden Berichten überwiegend die Frauen sein sollen, die sich dieser Art von Wahrsagerei und Bittzauber bedienen. Überwiegend, aber nicht ausschließlich, wie der Barockdichter Friedrich von Logau im 17. Jahrhundert bezeugt:
'Wenn St. Andreas-Abend kümt,
pflegt jeder, der sich will beweiben,
auch die, die sich bemannen wil,
ein hitziges Gebet zu treiben.'
Nicht unerwähnt wollen wir zum Abschluss den Umstand lassen, dass der Andreastag auch für andere als Liebesorakel und -zauber fruchtbar ist - allerdings ist dies hier nicht der Ort und die Zeit, darüber Auskunft zu geben. Dies soll ein andermal geschehen ...
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