Wenn Blicke töten können - der gar unheimlich Böse Blick ...
Zurück zum Anschlagbrett oder zur Hauptseite
Als der Autor am heutigen Morgen erwachte, erfasste ihn trotz des idyllischen Rabengekrächzes vor dem offenen Fenster das Ent- setzen. Musste er doch feststellen, dass er bar aller Ideen war, was wohl das Thema des wöchentlichen Beitrages für diese Seite sein möchte. Vielleicht kennt der geneigte Leser die geschilderte Situation. Da zermarterst du dir den Kopf und innen findet sich nichts als Leere. Doch dann, dem Familienleben sei's gedankt, erwacht die holde Angetraute. Vom Verlaufe des vergangenen Ta- ges noch ein wenig vergrämt blickt sie dir ins Angesicht und schon weißt du dein Thema: Es ist der Böse Blick, ein Schadzauber, der so weit verbreitet ist, wie es Menschen gibt in der weiten Welt, unabhängig von Hautfarbe und Kulturkreis. Grund genug, wie wir meinen, um diesem Phänomen einen Beitrag zu widmen ...
Das Auge übt von jeher eine seltsame Faszination auf die Völker der Menschheit aus. Im Auge des Gegenübers ist das Augenpüpp- chen zu sehen, das eigene verzerrte Abbild, das vielfach als die Seele des Menschen gedeutet wurde, die dort ihren Sitz hat, die das Sehen bewirkt und die, von Neid und Zorn bewegt, diesen ihren Wohnsitz manchmal verlässt, um Übles zu bewirken. Beim Tode aber verlässt es den Körper und verschwindet auf Nimmerwiedersehen.
Fehlt nun dieses Männlein im Auge eines Menschen, so gilt das häufig als sicheres Zeichen dafür, dass der- oder diejenige über den bösen Blick verfügt. Und, da nun einmal das sicherste Mittel gegen dessen schädlichen Ausirkungen im Vermeiden desselben besteht, empfiehlt sich in diesem Falle stets das Abwenden und Nichtanblicken. Daraus folgen solche Abwehrmaßnahmen, wie die, dass Bräute beschleiert oder mit verbundenen Augen den Weg von der Kirche ins neue Heim zurücklegen sollten, dass neugeborene Kinder nicht vor der Taufe vorgezeigt werden (hierdurch werden mögliche Opfer geschützt), oder dass man die Augen von Toten, denen man stets noch eine unheilvolle Ausstrahlung zuschrieb, bedecken sollte. Und den zum Tode Verurteilten suchte man durch das Bedecken des Kopfes oder durch das Verbinden der Augen jegliche Chance zu nehmen, noch unheilvoll zu wirken ... In den letzteren beiden Fällen verhindert man somit das Ausstrahlen der schädlichen 'Augendünste' oder '-strahlen'.
Apropos schädliche Auswirkungen. Was sagen nun die zahlreichen Volksüberlieferungen, was die Folgen dieses speziellen Schad- zaubers sein können? Die kurzgefasste Antwort darauf lautet: so gut wie alles. Mehr ins Detail gehend, würden wir eher kurzan- dauernde Symptome wie Kopfschmerzen, Magenverstimmung, Ohnmacht und Krämpfe nenne. Achja, ein Hinweis für die Herren - auch Impotenz ist ein sicheres Zeichen dafür, dass man dem bösen Blick zum Opfer gefallen ist. Wobei es allerdings Experten gibt, die wissen wollen, dass nicht nur der böse Blick, sondern manchmal schon der gelangweilte der Gespielin ausreicht, um das bedau- ernswerte Opfer in diesen unseligen Zustand verfallen zu lassen.
Doch von dieser kleinen Abschweifung nun wieder zurück zum eigentlichen Thema: Der böse Blick kann natürlich auch geistige Umnachtung bewirken, Syphilis, Herzfehler und Lähmungen. Manchmal fällt man nach Einschlagen deselben sogar tot um, was dann einer gewissen Tragik nicht entbehrt. Schließlich wird man ja als frisch Dahingeschiedener selbst ebenfalls zum Aussender derar- tiger bösartiger Ausstrahlungen, was wiederum in einer gewissen Seuchenwirkung resultieren kann. Da wir von Sælde und êre aber alles andere im Sinn haben als allgemeine Pandemieängste künstlich zu schüren, - schließlich reichen die absolut tödliche Vogelgrippe und die sogar noch ein wenig bedenklichere Schweinegrippe dazu bereits hinreichend aus - , wollen wir betonen, dass es nicht nur unsere Gesundheit ist, welche die mit dem bösen Blick Behafteten im Sinne haben.
Gibt nämlich die Kuh keine Milch ist - recht geraten - der böse Blick schuld. Und wenn das Ross scheut, sich das Bein bricht oder alternativ den Reiter vom Rücken schüttelt, dass der sich das Bein bricht, dann ist's ebenso. Der Fischer, um den die Fischlein einen weiten Bogen machen, hat's ebenfalls dieser Tatsache zu verdanken. (Glücklicherweise finden sich in unserer Arbeitsgruppe Kochen auch eine ganze Reihe von fischlosen Rezepten.) Meist sind es dann alte Weiber gewesen, die diesen Schadzauber bewirkt haben, klar doch, wer sonst. Hexenglaube und Schadzauber gehen dann ineinander über, durchdringen sich. Dem Jäger übrigens, der morgens ohne Wild heimkehrt, ist Gleiches widerfahren.
Letztere Fallstudie führt uns aber nun zu dem interessanten Fall, dass der böse Blick auch schon mal Gutes beim Opfer bewirken kann. Denn, wie allseits bekannt, besitzen nun vornehmlich solche Zeitgenossen diese unangenehme Eigenschaft, die mit Augen- defekten oder Sonderheiten gesegnet sind, die da wären: seltene oder ungleiche Farbgebung, hervorstehende Glupschaugen, zu- sammengewachsene Brauen - seien wir mal ehrlich, der Nachbar mit den Wuschelbrauen war uns immer schon suspekt -, auffall- ender Adernverlauf und natürlich das Schielen. Schielende Jäger treffen aber bekanntlich nichts - ein Paradoxon, bei dem sich der böse Blick als gut für den Rehbock erweist.
Dem aufmerksam Mitdenkenden mag aus dem bisher Gesagten nicht entgangen sein, dass es zwei unterschiedliche Aussender des Blickes gibt: solche die es unabsichtlich machen und solche, die ihn absichtlich zu Schadzwecken anwenden. Altbewährte Haus- mittel gegen alle diese Unwohlbereiter, wie etwa das vorsorgliche Verbrennen der üblichen Verdächtigen, fruchten nicht mehr, weil gänzlich aus der Mode gekommen. Allerdings finden sich einige Abwehrgesten vorwiegend obszöner Art, deren Anwendung einen gewissen Schutz verspricht - und wenn nicht, dann zumindest Spaß macht ... nicht wahr, liebe Jugendliche? Da wären beispiels- weise die Feige (Augenfeige, Feigenhand, 'Fica') oder auch das Horn ('corna') zu nennen - wobei wir aus Jugendschutzgründen auf eine genaue Beschreibung verzichten wollen. Wer glaubt, auf diese Gesten bei der Diskussion mit Mitschülern aus argumentativen Gründen nicht verzichten zu können, der sei auf entsprechende Internetseiten oder die größeren Geschwister verwiesen.
Interessant ist übrigens in diesem Zusammenhang, dass sich offensichtlich spezielle Musikrichtungen der abwehrenden Wirkung solcher Gesten bewusst sind. Vielleicht, mutmaßten manche Beobachter, rühre dies von der speziellen Art von Musik her, die zu besonders vielen bösen Blicken Anlass gebe. Alles nicht wahr, behaupten allerdings andere, diese Anschuldigungen kämen völlig unbegründet und aus Neid motiviert aus dem konkurrierenden Segment der Volksmusik. Neid ist übrigens häufig der Auslöser für den bösen Blick, daher ... nein, das würde an dieser Stelle schon zu weit führen.
Wie aber erkenne ich, dass ich einen bösen Blick eingefangen habe? Nun, wenn wieder einmal ein Test in die Hose gegangen ist, dann war's offensichtlich ein neidischer Klassenkamerad. Dann hilft kein Lernen, muss den meist fehlinformierten Eltern klargemacht werden. Allenfalls eine gesponserte Reise ins sonnige Neapel samt anschließendem mehrwöchigen Kuraufenthalt, zu den dortigen 'fattuchiere', von den Behörden anerkannte Spezialistinnen zum Beseitigen der bösartigen Auswirkungen dieses Schadzaubers. Und zur Warnung sei abschließend noch gesagt, dass im Lichte unserer Erläuterungen der Satz 'Ich habe ein Auge auf dich geworfen' jedenfalls alle Alarmglocken in uns schrillen lassen sollte ...
Zurück zum Anschlagbrett oder zur Hauptseite
© 2010, Gestaltung und Inhalt: H. Swaton - alle Rechte vorbehalten