28. Juni 2008
Die kleine Stadt Scheibbs, deren Geschichte bis in das frühe 12. Jahrhundert zurückreicht, gilt als Perle des niederösterreichischen Ei- senwurzengebietes, deren Schönheit jederzeit einen Besuch rechtfertigt. Wenn an diesem historischen Ort außerdem noch eine Auf- führung der Orff'schen Carmina Burana Vertonung auf dem Programm steht - dargeboten von weit über zweihundert Solisten, Musikern und Chormitgliedern -, dann ist ein Besuch dieses Ereignisses fast ein Muss, dem wir uns an diesem lauen Sommerabend auch gar nicht entziehen wollten ...
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Bevor das Konzert aber um 20h seinen Anfang machte, blieb uns noch genügend Zeit, einige der Sehenswürdigkeiten Scheibbs zu be- wundern. Bereits die Anreise, von Tulln kommend durch das wunderschöne Mostviertel, vorbei an Wieselburg und dem allseits bekann- ten Purgstall, bot eine Menge an Naturschönheiten zu bestaunen. So mussten wir zähneknirschend auch einige Wegweiser links liegen lassen, welche die Anfahrt zu Burgruinen kennzeichneten. Ein Andermal wird sicher wieder mehr Zeit sein - aufgeschoben ist ja keinesfalls aufgehoben.
Erster Besichtigungspunkt in Scheibbs war die sogenannte Römerbrücke, zu der man neben der idyllisch rauschenden Erlauf wandernd gelangt. Allerdings täuscht der Name; die Brücke wurde erst im 16. Jahrhundert an die Stelle eines vormals hölzernen Stegs, der bis ins hohe Mittelalter zurückdatiert, gesetzt. Die Bezeichnung rührt daher, dass man an nämlicher Stelle schon einen römischen Übergang vermutete.
Durch die engen, malerischen Gassen der kleinen Innenstadt ging es dann in Richtung Rathausplatz, wo am Abend die Aufführung stattfinden sollte. Die schönen Bürgerhäuser weisen auf die frühe Neuzeit zurück, in der Scheibbs von der zunehmenden Eisenproduk- tion am Erzberg und dem damit verbundenen Bedarf landwirtschaftlicher Produkte profitierte. Mittelalterliches muss man suchen, doch findet es sich hier und dort. So existiert noch ein Teil der ehemaligen Stadtmauer aus dem 14. Jahrhundert samt zugehöriger Türme. Auch das Schloss reicht bis in das 14. Jahrhundert zurück.
Am Rathausplatz selbst empfingen uns bereits Orchester und Chöre, noch fleißig probend. Einigermaßen erstaunte uns dabei die Orche-strierung, da bedeutend mehr Bläser zu hören waren, als wir dies von Carl Orffs Vertonung der Lieder aus Benediktbeuren gewohnt wa- ren (wobei Benediktbeueren nur der Fundort dieser Sammlung mittelalterlicher Vaganten-, Sauf- und teilweise eindeutig-derber Liebes- lieder sein dürfte; die Entstehung verlegt man gerne in das steirische Seckau). Tatsächlich klärte uns ein teilnehmender Bekannter dann auf: In Scheibbs sollte eine durch den französischen Komponisten Juan Vicente Mas Quiles arrangierte Version der Carmina Burana zur Aufführung kommen. Bei dieser Variante waren die Streicher der Originalversion durch Bläser ersetzt worden. Übrigens soll Orff die Überarbeitung authorisiert haben ... (Um es vorwegzunehmen: Nach der Aufführung waren wir allsamt der Meinung, die Bläservariante sei jener mit Streichen deutlich vorzuziehen. Aber vielleicht lag das auch nur am Liveerlebnis ...)
Nicht extra erwähnt zu werden braucht, dass der Besucherandrang ein großer war und viele Zuhörer mit Stehplätzen vorlieb nehmen mussten. Dennoch, denke ich, haben sie ihr Kommen keinesfalls bereut. Um 20 Uhr war es endlich soweit: Chöre, Orchester, Solisten und Dirigenten nahmen ihre Plätze ein und die gewaltige Ode an die Schicksalsgöttin ertönte aus hunderten von Kehlen, während der Mann an der Pauke erstmalig zu wüten begann. Nun, für uns, die wir das mittelhochdeutsche Pedant der Fortuna, die Frau Sælde im Namen und das Glücksrad im Wappen führen, scheint diese Verbeugung vor der mächtigen aber unberechenbaren Dame mehr als rech- tens.
Beeindruckt lauschte dann die Menge den weiteren Darbietungen, folgte den 'szenischen Kantaten' vom Anger über die Taverne bis hin zur Liebesverhandlung, bewunderte die virtuosen Gesangesleistungen der Solisten Heidi Manser (Sopran), Gernot Heinrich (Tenor) und Andreas Jankowitsch (Bariton), bestaunte die Präzision und Dynamikumfang von Orchester und Chören, hörte die lateinischen und er- freute sich an den mittelhochdeutschen Texten. Insbesondere der Scheibbser Haupschulchor sei hier noch extra erwähnt, da sich die Kinder nahtlos in die tollen Leistungen einfügen konnten ...
Viel zu kurz, so kurz, dass man verwundert auf die Uhr blickte, als zum zweiten Mal Fortuna, die Beherrscherin der Welt ihren Auftritt hatte, währte die Aufführung. Fast möchte man dem Komponisten einen Vorwurf machen, dass er nur 24 Stücke der mittelalterlichen Gedichte vertonte: 'Carl, da hätte es doch vielmehr davon gegeben!' Dennoch, einen Applaus hat sich sein Werk jedenfalls verdient - die Aufführenden sowieso. Und was für einen: Gute zehn Minuten lang tobte das Publikum - höchtslich verdientermaßen, wie wir mei- nen - und konnte schlussendlich erst durch den Abgang der Künstler zum Schwiegen gebracht werden.
Fazit: Ein toller Abend - selbst schuld, wer den versäumt hat. Aber eine Chance gibt es ja noch das Versäumte nachzuholen: am 5. Juli auf der Donaubühne in Tulln, 20h30 Beginn. Leider überschneidet sich der Termin mit unserem Engagement beim Mittelalterfest in Ottenstein, denn sonst ...
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