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Waltharius
Zur vorliegenden Buchausgabe:
Über Autor, Entstehungsgeschichte und Textgestaltung:
Im Waltharius wurde volkssprachlicher Sagenstoff über die Taten des aquitanischen Königssohn Walther schrift- lich niedergelgt. Das Werk stellt jedoch insofern eine literaturgeschichtliche Besonderheit dar, als es sich dabei nicht einfach um die einfache Niederschrift eines germanischen Heldenliedes handelt. Vielmehr hat sein Autor, ein Mönch, der vermutlich in St. Gallen beheimatet war, in einer bewussten Neukonzeption das heidnisch-ger- manische Heldenepos aus der Völkerwanderungszeit in Richtung des christlichen Weltbildes umzudeuten ver- sucht. Dabei entstand ein Werk, in dem sich Heldensage, lateinische Tradition der Schriftlichkeit und christliches Ethos in einer bis dahin unbekannten Form durchdringen.
Über den Autor des Waltharius besteht keine Gewissheit, ja selbst über den Entstehungszeitraum des Werkes herrscht in der Literaturwissenschaft keine Einigkeit. Sowohl das 10. Jahrhundert der Ottonen als auch die karo- lingische Epoche des 9. Jahrhunderts stehen hier zur Diskussion. Aus Vorrede und Zeugnissen geht jedoch klar hervor, dass es sich beim Verfasser um einen Mönch gehandelt hat, der diesen sehr weltlichen Text zur Erbau- ung seiner Mitbrüder aus den alten Erzählungen geschaffen hat. Offensichtlich bestand bei den Fratres durchaus Nachfrage nach Stoffen nichtchristlichen Inhaltes, ein Eindruck, der auch durch manch überlieferte Klage geistlicher Oberer gestärkt wird.
Doch hat der Verfasser das Heldengedicht nicht einfach in seiner ursprünglichen Form übernommen. Ist doch der altgermanische Ehr- und Rachebegriff mit christlicher Ethik kaum vereinbar. Szenen, die im Heldenepos einem bestimmten Schema zu folgen haben, werden in bewusster Weise 'gegen den Strich' beschrieben. Auch verwen- det er das christliche Element keinesweg als Feigenblatt, als bloße Hinzufügung. Vielmehr liegt eine tiefgreifende, gezielte Umformung vor, mit der der Autor des Werks die 'richtige Sichtweise' auf die beliebten Heldengeschich- ten vermitteln wollte.
Dass ihm diese Transformation in so faszinierender Weise gelang, liegt darin mitbegründet, dass er auf einen breiten Fundus antiker, lateinischer Vorbilder zurückgreifen konnte. Dem mittelalterlichen Autor galt es ja nicht so sehr als Qualitätsmerkmal, wenn er originell Neues schuf, sondern vielmehr, wenn er anerkannte Kapazitäten zitierte - sei dies nun inhaltlich oder formal durch die wörtliche Übernahme und Zitierung ganzer Verse. Als wich- tigste klassische Vorbilder sowohl für die Sprache als auch für die Gestaltung ganzer Szenen lassen sich Vergils Aeneis sowie die Psychomachie des antiken Christen Prudentius ausmachen, doch finden sich auch Hinweise auf Ovid und andere.
Dass bei allen Hintergedanken, die der Autor möglicherweise in sein Werk verpacken wollte, doch vor allem an- deren die Unterhaltung der Zuhörerschaft das vordringliche Ziel gewesen sein dürfte, zeigt sich am (oft schwar- zen) Humor: So etwa, wenn Walther die Hunnen zum kollektiven Rausch nötigt oder wenn nach dem abschließ- enden Kampf die vormaligen Kontrahenten Walther, Gunther und Hagen sich ob ihrer abgeschlagenen Körper- teile gegenseitig verhöhnen. So etwa spöttelt Walther, seiner rechten Hand beraubt, gegen Hagen, der im Kampf Auge und sechs Backenzähne verloren hat:
"Fürderhin wirst du den Dienern schielend Befehle erteilen,
wirst in die Quere blickend die Kriegerscharen begrüßen.
Doch der alten Treue gedenkend, will ich dir raten:
wenn du nunmehr nach Haus' kommst und dem heimischen Herd nahst,
lass dir Brei aus Milch und Mehl und Pökelfleisch machen;
der nämlich wird dier Nahrung und Heilung gleichzeitig geben."
('Waltharius', 1437ff)
Der Inhalt :
Nach einer Vorrede werden die Hunnen unter ihrem König Attila als kriegstüchtiges und mächtiges Volk ge- schildert, dem niemand zu widerstehen vermag. So auch nicht die Völker der Franken, Burgunden und Aqui- tanier, die sich jeweils den nahenden Hunnen unterwerfen und diesen Geschenke und hochgestellte Geiseln zur Sicherheit anbieten.
Bei den Franken übernimmt der Knabe Hagen die Rolle der Geisel an Stelle des Königsohns Gunther, der noch nicht das notwendige Alter erreicht hat, um ohne seine Mutter leben zu können. (Auffällig, dass Gunther und Hagen in dieser Erzählung keine Burgunder sind.) Der burgundische König Heririch liefert sein einziges Kind, die Tochter Hiltgunt aus, der aquitanische Herrscher Alpher seinen Sohn Walther.
Die drei hochgestellten Geiseln, allsesamt noch Kinder, werden von Attila freundlich an seinem Hofe aufge- nommen, wo sie aufwachsen und auch eine standesgemäße Erziehung erfahren. Während Hiltgund das Ver- trauen der Königin gewinnt und von ihr schließlich zur Hüterin über die Schätze bestimmt wird (armer Attila, offensichtlich hatte in finanziellen Angelegenheiten seine Frau das Sagen), wachsen Hagen und Walther zu kühnen Recken heran, denen kein anderer im Hunnenreich gleichzukommen vermag. Bald führen sie in den Kriegen Attilas dessen Heere an und zum Sieg.
Als im Frankenreich König Gibicho stirbt, folgt ihm dort Gunther auf den Thron. Hagen erfährt dies und entflieht dem Hunnenhof um in die Heimat zurückzukehren und fortan Gunther zu dienen. Die Hunnenkönigin fürchtet, dass nach Hagen auch Walther in die Heimat entweichen und der König so auch seinen zweiten Feldherrn ver- lieren könnte. Daher rät sie, Walther zur Hochzeit mit einer einheimischen Frau zu drängen. Doch der lehnt das Ansinnen unter dem Hinweis, nur unbeweibt könne er sich ganz dem Kriegsdienst verschreiben, ab und Attila belässt es dabei.
Eines Tages kehrt Walther siegreich von einem Kriegszug zurück und findet im Gemach der Königin nur Hilt- gunt vor. Hier nun schmieden die beiden, die sich schon von Kleinkindesalter an versprochen sind, einen Fluchtplan, der bereits kurze Zeit später seine Umsetzung erfährt. Walther richtet ein Siegesfest aus, bei dem er jeden Hunnen nötigt, zu trinken was die Fässer hergeben. Der gesamte Hof sinkt in den kollektiven Voll- rausch und die beiden Liebenden können unbemerkt entfliehen. Dazu haben sie sich vorsorglich mit Nahr- ungsmitteln, Angeln und zwei Truhen, gefüllt mit Kostbarkeiten aus dem königlichen Schatz, eingedeckt. Als der schwerverkaterte Attila zu Mittag des nächsten Tages entdeckt, was geschehen ist, versucht er wutent- brannt eine Verfolgung in Gang zu bringen. Doch selbst goldene Versprechungen vermögen niemanden dazu zu bringen - zu groß ist ihrer aller Angst vor Walthers Tapferkeit und kampfeskunst.
Inzwischen schlagen sich Walther und Hiltegunt durch das Hunnenland nach Westen. Sie bleiben unentdeckt, weil sie, sich nur von Vögeln und Fischen ernährend, jede Siedlung meiden und nur des Nachts wandern. Nachdem sie derart vierzig Tage hinter sich gebracht haben, erreichen sie fränkisches Gebiet. Am Rhein sind sie gezwungen, die Dienste eines Fährmannes in Anspruch zu nehmen um den Fluss zu übersetzen. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf, als Walther die Überfuhr mit Fischen bezahlt, die er noch im Hunnenland ge- fangen hat.
Der Fährmann nämlich bringt die Schuppentiere an den Hof des nahen Worms, an dem König Gunther resi- diert. Die unbekannte Fischart löst des Königs Erstaunen aus und er lässt sich vom Überbringer berichten. Dieser weiß von einem schwer gewappneten Recken zu erzählen, in dessen Gefolge sich eine wunderschö- ne Maid befindet. Doch erst die Erwähnung der beiden Schatztruhen erweckt Gunthers volles Interesse. Hagen, der beim König weilt, erkennt in den Fremden hingegen hocherfreut Hiltgunt und Walther, seinen Ju- gendfreund. Doch Gunther denkt nur daran, wie er den Schatz gewaltsam gewinnen könnte. Alle Bemühun- gen Hagens, seinen Herrn davon abzuhalten, scheitern und so sprengt Gunther, von zwölf Gewappneten begleitet dem fliehenden Paar nach. Zu diesen Zwölfen gehört auch Hagen, der immer noch versucht, das Schlimmste zu verhindern.
An einer felsigen Engstelle im Wasgenwald erreichen die Verfolger scließlich Hiltgunt und Walther. Der verweigert natürlich die Her- ausgabe von Schatz, Frau und Pferd. Da Gunther auch den Warnungen Hagens vor der Kampfesstärke Walthers kein Gehör schenkt, vielmehr seinen Gefolgsmann als Feiglichg verhöhnt, wird die Auseinander- setzung unvermeidlich. Dumm nur für den König ist, dass Hagen sich vorerst schmol- lend und alter Freundschaft gedenkend zurückzieht und dass außerdem das Gelände keinen gemeinsamen Angriff aller erlaubt. Damit ist der zahlenmäßige Vorteil dahin, und Walther kann sich im zweiten Teil des Buches daranmachen, die unverschämten Franken ordentlich aufzumischen.
In einer Reihe von Zweikämpfen besiegt und tötet er einen Angreifer nach dem anderern, darunter auch Ha- gens Neffen. Nach einem skurilen Seilziehduell mit den letzten vier Franken überlebt nur Gunther den Angriff Walthers und flüchtet sich zu Hagen. Endlich kann er den Widerstrebenden doch zum Kampf bewegen, nicht zuletzt deshalb, da dessen Neffe im Kampf gefallen ist. Auf Hagens Rat ziehen sich die beiden zurück, um Walther aus seiner Felsstellung herauszulocken. Am Morgen des nächsten Tages ist es schließlich soweit: Nachdem Walther und Hiltgunt aufgebrochen sind, brechen Gunther und Hagen aus ihrem Hinterhalt hervor. Der Kampf beginnt und endet erst nach Stunden mit der schweren Verletzung sämtlicher Kämpfer:
"Wie das Ende nun da war, zeigt einen jeden ein Zeichen an:
da lag am Boden der Fuß König Gunthers,
die Hand von Walther und schließlich Hagens zuckender Augapfel.
So also teilten sie miteinander die hunnischen Spangen."
('Waltharius', 1401ff)
Jetzt erst, nachdem kampfunfähig, versöhnen sich die Kontrahenten beim gemeinsamen Trunk. Walther und Hiltgunt können daraufhin ungehindert weiterziehen und leben fortan - wie es sich gehört - glücklich und zu- frieden bis an ihr Ende.
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