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Novellistik des Mittelalters
Der Deutsche Klassiker Verlag, bekannt für hochwertige Buchausgaben zu äußerst moderaten Preisen, nimmt sich dankenswerterweise mit seiner Reihe Bibliothek des Mittelalters auch vieler Originaltexte aus besagter Zeit an - und zwar, von uns besonders geschätzt, in zweisprachiger Ausgabe, die stets das mittelhoch- deutsche Original neben einer neuhochdeutschen Übersetzung anführt. Damit noch nicht genug, bieten die Werke aus der Reihe in umfangreichen Anhängen stets auch noch eine Reihe von weiterführenden Infor- mationen, die da wären Kommentare zu Gattungsgeschichten, Einzelkommentare zu Gedichten und Mären, Ausführungen zu Überlieferung, Autor und Entstehung, Text, Stellenkommentaren, mit Interpretationen verwendeter mittelhochdeutscher Begriffe, etc.
So bieten etwa auch die Ausführungen zu Motivik, Quellen und Thematik, wie sie in hier vorzustellenden Band Novellistik des Mittelalters zu jeder der vorgestellten Mären gegeben werden, eine Menge an weiterführenden Informationen für den, der sich etwa über die Herkunft der verwendeten Motive interessiert oder den Zu- sammenhang, in dem die vorgestellten mittelhochdeutschen Geschichten mit Literaturen benachbarter Länder oder auch anderer Kulturkreise stehen.
So ist es nicht verwunderlich, dass der vorgestellte Band, der solcherart ausgestattet, 37 Mären (wenn wir uns denn nicht verzählt haben) zum besten gibt, den stattlichen Umfang von knappen 1400 Seiten umfasst - die, da in Dünndruck gehalten, dennoch stets Platz finden im knappen Gepäck. Diese Fülle an Material, wie erwähnt zweisprachig, unter Berücksichtigung der üppigen Ausstattung - da stellen die (österreichischen) 20,60? einen geradezu lächerlich geringen Preis dar. Erwähnt sei, dass auch alle anderen Werke der be- sagten Reihe ein ähnlich günstiges Verhältnis von Preis und dafür Gebotenes aufweisen!
Einige Worte noch zum Titel: Unter der Novelle wird heutzutage eine Literaturform verstanden, deren mo- derne Ausprägungen auf Boccaccios Decamerone zurückgeführt werden. Im vorliegenden Band haben wir es mit älteren, mehr 'mittelalterlichen' erzählformen zu tun, deren Anfänge im deutschen Sprachbereich ins erste Viertel des 13. Jahrhunderts zurückreichen, mit dem Stricker ihren schriftlichen Ausgang nehmend. Klarerweise bietet der vorliegende Band dann auch einige Erzählungen dieses Autors, die etwa mit den drei Wünschen auch sehr gebräuchliche Erzählmotive verwenden, wie sie sich beispielsweise auch in den Märchen vieler Völker wiederfinden.
Abes gibt noch viele andere Quellen, aus denen diese Mären, wie sie vielleicht treffender bezeichnen zu sind, schöpfen: das französische Fabliau, deftig, obszön, freizügig, antike Erzähltraditionen, arabisches und über dieses eingeflossen, orientalisch/indisches Gedankengut. Häufig soll die Märe, die im Gegensatz zur langen Form des Romans eine Kurzerzählung ist, belehrend wirken, viellfach - oder fast ausschließlich? - ist die Beziehung zwischen Mann und Frau ihr Thema. Natürlich nimmt diese Erzählform eine gewisse Richtung, ist im Laufe der Jahrhunderte Moden unterworfen. All das vermögen die angeführten Beispiele zu verdeutlichen.
Und so reicht der Kanon der Mären im vorliegenden Band vom klugen Knecht des Strickers (zweites Viertel 13. Jhdt.) über die Herzmäre Konrad von Würzburgs und Die halbe Birne (vielleicht desselben), über frivole Komik, wie im Häslein und des Mönches Not bis zu grotesken, teils extrem obszönem Erzählungen (und damit dem Fabliau ähnlich), wie etwa dem Nonnenturnier . Wie man sieht, sollte für jeden Geschmack etwas enthalten sein - und wenn nicht, dann ist's zumindest eine gute Quelle für den Erwerb des Mittelhochdeutschen :-)
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