Hier mögt ihr nun einiges über Themen und Motive erfahren, welche sich mittelalterlicher Literatur häufig finden ...
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Klassiker der Mystik -
Das fließende Licht
Mechthild von Magdeburg - Das fließende Licht der Gottheit
... "Eya herre, wie sol dis buoch heissen
alleine ze dinen eren?"
"Es soll heissen ein fliessendes lieht miner gotheit
in allú dú herzen,
dú da lebent ane valscheit."
('Das fließende Licht', 1. Buch, Teil I.)
Der Glaube war dem mittelalterlichen Menschen wichtiger, wenn nicht sogar der wichtigste, Bezugspunkt seines Lebens. Wenn auch nicht immer alle weltlichen Handlungen sich daran orientierten (denn wofür wäre sonst auch die Beichte nötig), so galt es der erdrückenden Mehrheit als ausgemacht, dass einem kurzen Leben ein ewiges Jenseits folgte - entweder im milden Schein göttlicher Liebe oder in den Feuern der Hölle.
So kann es nicht verwundern, dass es neben den vielen anderen religiösen Strömungen, bis in die Frühzeit des Christentums zurückgehend, stets auch jene gab, welche die direkte Begegnung mit Gott und die Vereinigung der Seele mit der göttlichen Liebe durch persönliche Erfahrung suchte, statt sich mit Dogmatik und der Vermittlung des Göttlichen durch kirchliche Obrigkeiten zufriedenzugeben.
Speziell das hohe und das spätere Mittelalter können mit einer großen Anzahl bedeutender Mystiker und Mystikerinnen aufwarten - man denke im deutschsprachigen Raum nur an Namen wie Hildegard von Bingen, Heinrich Seuse, Meister Eckhart, Nikolaus von Flüe oder, in Wien, Agnes Blannbekin - und den Schilderungen ihrer Begegnungen und Erlebnisse, die uns teils von Zeit- und späteren Zeugen überliefert sind, teils aber auch aus eigener Feder stammen.
Selbstverständlich dürfen in unserer Bibliothek derartige Werke nicht fehlen. Zum Ersten stellen sie beredtes Zeugnis über das damalige Denken und Fühlen dar, zum Zweiten sind sie nicht selten von einer sprachlichen und inhaltlichen Schönheit, die staunen lässt. Nicht zuletzt aber vermögen sie Sinnsuchenden Anregungen zum Denken, vielleicht sogar tiefe Einsichten vermitteln von den ewigen Sehnsüchten der Menschheit ...
Ein Werk, welches ganz zu Beginn zu nennen ist, wenn man von großer sprachlicher und inhaltlicher Schönheit schwärmt, ist ohne Zweifel 'Das fließende Licht der Gottheit' der (höchstwahrscheinlich adeligen) Mechthild von Magdeburg (geboren 1207/08, gestorben: um 1280/90) an prominenter Stelle zu nennen.
Mechthild hatte im Alter von zwölf Jahren ein Gnadenerlebnis, indem sie nach eigenen Worten 'gegrüßt wurde vom Heiligen Geist', welches in ihr den Wunsch auslöste, der Welt zu entsagen und ein Leben in Armut und Erniedrigung zu führen. Sie entschied sich, ihr Leben als Begine zu führen, also für ein Leben in der Gemeinschaft gleichgesinnter Frauen, die Armut und Keuschheit gelobten, ohne einem Orden beizutreten.
Sie ging dazu nach Magdeburg, wo sie durch Krankenpflege und Textilarbeit ihren Lebensunterhalt verdienen konnte; betreut wurden die Beginen dabei von Dominikanern; ausdrücklich genannt sei hier Mechthilds langjähriger Beichtvater Heinrich von Halle, der offenbar auch an der Entstehung des Fliessenden Licht regen Anteil hatte.
Vermutlich ermutigte er sie dazu, ihre mystischen Erlebnisse in insgesamt den insgesamt sieben Büchern niederzuschreiben - eine Arbeit, die sie seit 1250 betrieb und bis zu ihrem Lebensende fortsetzte, wobei die einzelnen Bücher bereits nach ihrem jeweiligen Erscheinen diverser Zuhörerschaft zu Ohren gebracht worden sein dürften. Um 1270 trat Mechthild schließlich in das Zisterzienserinnen-Kloster Helfta ein, wo sie bis zu ihrem Tod lebte.
Die Quelllage des Werkes ist alles andere als gut zu bezeichenen: So kam nur eine vollständige deutschsprachige Handschrift auf uns, der sogenannte Basler Codex Einsidlensis aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, der jedoch inhaltlich Mechthilds Originaltext sehr gut erhalten haben dürfte - eine Annahme, die der Vergleich mit den vorhandenen lateinischen Übersetzungen nahelegt. Allerdings hat sich hier Mechthilds Text - ursprünglich niederdeutsch - nur in oberdeutscher Übertragung erhalten, wodurch auch original vorhandene Reimung verlorenging ...
Der in der besprochene Ausgabe der Bibliothek Deutscher Klassiker vorliegende Text - dessen Inhalt sich hier zu widmen, den intendierten Umfang des Artikels weit übersteigen würde - entspricht im Wesentlichen jenem der Einsiedler Handschrift, die in alemannischer Mundart gehalten ist (und somit auch nicht in 'normalisiertem' Mittelhochdeutsch wiedergegeben wird). Auf ca. 870 Seiten, die in der gediegenen Leinenausgabe um 76 Euros (Deutschland), 78,20 Euros (Österreich) oder 99 sFr (Schweiz)zu erhalten sind, finden sich anbei noch eine neuhochdeutsche Übersetzung, Kommentare über das Leben der Autorin, über des Werk selbst, samt einem informativen Stellenkommentar.
Wer also nach einem bedeutenden Werk mittelalterlicher Frauenmystik sucht, nach kühnen Bildern, in denen die Begegnung Gottes mit der liebenden Seele nach dem Vorbild der erotischen Bildersprache des Hohen Liedes in der Unio mystica als Verinigung von Braut und Brätigam umschrieben wird, ist ebenso beraten hier zuzugreifen wie jener, der sich für die Lebensbeschreibung einer sprachlich kreativen Frau des 13. Jahrhundert, die, wo sie es notwendig empfindet, auch an Angriffen gegen unwürdige Vertreter des geistlichen Standes nicht fehlen lässt.
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