Zurück zur Bibliotheksseite, zum Anschlagbrett, oder zur Hauptseite
Neuigkeiten in der mittelhochdeutschen Bibliothek
Einige einleitende Worte ...
Nachdem sowohl der Sommer als auch die Festsaison 2008 sich langsam aber sicher ihrem Ende entgegen- neigen, ist es an der Zeit, einige Gedanken an die bevorstehenden langen Wintermonate zu verwenden. Gerade jene Monate sind es, in denen zeitaufwändige Projekte gestartet und langgehegte Ideen umgesetzt und endlich auch profunde Informationen aus Origianlquellen beschafft werden können. Traditionell gehen dieser Phase immer ein Großreinemachen und Aufräumen vorraus, dass wir dieses Mal benutzt haben, unsere Bibliothek auf Vordermann zu bringen. Nicht nur inhaltlich, sondern auch ganz konkret: Endlich wurden all die Stapel von neuen Büchern, die über die Sommermonate hinweg in irgendwelchen Winkeln klammheimlich be- drohliche Ausmaße angenommen haben, an die vorgesehenen Plätze in liebevoll gezimmerten Regale über- siedelt.
Dass bei einem solchen Unterfangen gleich eine vollständige Neuorganisation der Bibliothek miteinherzuge- hen hat, versteht der Bücherfreund, dem doch selbst der vorhandene Platz stets zu klein zu werden droht, selbstverständlich. Mit den unerfreulichen Auswirkungen solcher Tätigkeit, wie etwa dem gebückten Gang als Folge der Kreuzschmerzen oder der Staublunge, welche dieses zweitägige Bücherschleppen mit sich bringt, gehen auch einige positivere Aspekte einher - Training der Oberarmmuskulatur beispielsweise aber auch der, dass verschollene und längst vergessene Schätze dem Nagen der Bücherwürmer entrissen und endlich wie- der ans Licht des Tages kommen.
Auf der Bibliotheksseite sollen solche Wiederentdeckungen und auch jene Werke, die dem Schicksal des Vergessenwerdens ob ihrer Qualität, ihres packenden Inhaltes oder aus anderen Gründen entgingen, nach und nach vorgestellt werden. An dieser Stelle wollen wir nun in gewagtem Vorgriff bereits einige unserer mittelhochdeutschen Neuerwerbungen und Wiederentdeckungen nennen, damit der geneigte Leser einen Ausblick darauf gewinnen möge, aus welchen Werken er vielleicht schon demnächst Zitate und packende Schilderungen von ungeheuerlichen Ereignissen zu erwarten hat, nachdem sich schon bisher Auszüge aus Wolframs Parzival, Wirnt von Grafenbergs Wigalois, manche Stelle Hartmanns und aus Heinrich von Veldekes Eneasroman fanden, einige, wenn auch viel zu wenige Schöpfungen Walthers angeführt waren und natürlich auch das Nibelungenlied nicht fehlen durfte.
Die Neuen in der Sammlung ...
Um nun kein Missverständnis aufkommen zu lassen - hier erfolgt keine Besprechung dieser Neuzugänge un- serer Sammlung. Dies wird zu gegebener Zeit, dann nämlich wenn ausreichend davon verfügbar ist, nachge- holt werden. Aber die kleine Auflistung der herausragenden Verstärkungen der diesjährigen Transfer- ähh, wollte sagen Sommerzeit, mag vielleicht einen ersten kleinen Vorgeschmack vermitteln.
Da wäre zuerst einmal die Weltchronik und das Fürstenbuch des Wiener Patriziers Jansen Enikel zu nennen, zwei Werke in Reimpaaren, die gegen Ende des 13.Jahrhunderts entstanden. Während ersteres eine in tra- ditioneller Weise gestaltete Geschichte der Welt von der Schöpfung beginnend enthält, befasst sich das Fürs- tenbuch speziell mit der Geschichte Wiens von ihrer Gründung bis ins Jahrhundert des Dichters, wobei es darin die zahlreichen Anekdoten sind, die hervorstechen, während an die historische Genauigkeit keine all- zuhohen Ansprüche gestellt werden sollten.
Solche Ansprüche befriedigt da schon eher die Steirische Reimchronik (auch Österreichischen Reimchronik) des adeligen, steirischen Reimchronisten Ottokar von der Gaal, welche dieser ebenfalls an der Wende zum 14. Jahrhundert verfasst hat. Neben vielen - möglicherweise erfundenen - Berichten vermittelt das Werk eine Fülle von Informationen über politische aber auch gesellschaftlich-höfische Ereignisse. Mit knapp 100000 Versen stellt die Reimchronik das umfangreichste Geschichtswerk des deutschsprachigen Mittelalters dar, wobei der Focus der 'Berichterstattung' eindeutig auf Österreich und hier auf die Steiermark gerichtet ist. Der Interessierte findet hier gleichermaßen Informationen zu Güssinger Fehde wie zum Auftreten von Heuschreck- enplagen ...
Die Bezugsmöglichkeiten dieser Werke werden bei ihrer Besprechung auf unseren Seiten nachgeliefert. Für besonders Eilige sei auf die Möglichkeit der Internetsuche verwiesen, allerdings gleichzeitig auch eine War- nung ausgesprochen: Die drei Werke sind nämlich nur in der Ausgabe ohne neuhochdeutsche Übersetzung erhältlich, also in einem Mittelhochdeutsch an der Wende zum frühen Neuhochdeutsch.
Diese Übersetzung ist hingegen der Ausgabe des deutschsprachigen, großteils bereits frühneuhochdeutschen Prosalancelots beigestellt. Glücklicherweise, umfasst doch dieses Werk, das die Übersetzung einer französi- schen Vorlage aus dem frühen 13. Jahrhundert darstellt, mehrere tausend Seiten Text und immerhin fünf Bände in Dünndruckausgabe. Interessant an dem Werk ist, neben den Auswirkungen, welche sein aus- schweifender Inhalt auf die weitere Wiedergabe der mittelalterlichen Artusliteratur bis hin zu Malorys Morte D'Arthur hatte, auch seine Übersetzungsgeschichte, die für diesen ersten deutschsprachigen Prosaroman vom 13. Jahrhundert beginnend gut 300 Jahre in Anspruch nimmt. Neben der verhängnisvollen Liebesaffäre Lancelots mit Königin Ginover sind vor allem die Suche nach dem Gral und der Untergang der arturischen Welt Inhalt der monumentalen Erzählung.
Wem die Suche nach dem Gral noch nicht genug an Mystik bietet, dem sei übrigens mit der Schrift der Mysti- kerin Mechthild von Magdeburg, Ein vliessendes lieht der gotheit, ein tiefsinniges Werk voller wundervoller Sprachbilder empfohlen, das Allegorie, die Niederschrift von Visionen, Lehr und Streitgespräch und Liebespreis in einem darstellt.
Nebenbei fanden sich beim liebevollen Entstauben der Bücherberge solche Kleinodien (naja, klein?) wie Diu Crone des Heinrich von dem Türlin, lange Zeit geringgeschätzt und erst in neuerer Zeit stark beachtet, eine Erzählung voller beunruhigend-verwirrender Wunderketten um die Abenteuer des Artusritters Gawein, oder aber der 'untypische' Artusroman Daniel von dem Blühenden Tal des Strickers. Sowie manch anderes auch noch, sodass der Leser gewiss sein mag, auf unserer Seite in Zukunft noch eine Menge an mittelhochdeutschen Textzitaten erleiden zu müssen ...
Zurück zur Bibliotheksseite, zum Anschlagbrett, oder zur Hauptseite
© 2008, Gestaltung und Inhalt: H. Swaton - alle Rechte vorbehalten