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Längst fällig: Diu Crône in Neuhochdeutsch
Wenn langes Warten endlich doch belohnt wird ...
Es ist hier nicht der Ort über den Inhalt der Crône, des monumentalen Versepos des Heinrich von dem Türlin zu sprechen. Und ein Werk mit gut 30000 Versen kann man wohl ohne Übertreibung als monumental bezeichnen. Zum Inhalt und zum Autor an dieser Stelle nur soviel: Letzterer war sehr bewandert in der literarischen Landschaft des athurischen Romans - sowohl was deutsche als auch französische Vorlagen betraf.
Da er diese Vorlagen alle zu nutzen wusste - aber nicht um einen klassischen Artusroman zu schaffen, der alle Erwartungen, die Leser - heutige und wohl auch seine Zeitgenossen - an ein solches Werk knüpfen, erfüllt, sondern eine eigenwillige Kompilation beziehungsweise Neuschöpfung darstellt - entstand ein Text, in dessem Labyrinth sich allerlei Verwirrendes verbirgt.
So stellen sich zwischenzeitlich immer wieder Fragen nach einem Leitmotiv, verwirren Passagen, die sich nur bei Kenntnis jener anderen Werke, auf die der Autor jeweils anspielt, verstehen lassen - manchmal muss man sie wohl sogar als parodierend auffassen -, erstaunen die eindrucksvollen und surrealen Bilder der sogenannten Wunderketten oder erschlägt den Leser die pure Menge der aneinandergereihten Aventüren, vornehmlich des besten aller Artusritter, Gaweins nämlich. Das Erzähltempo gibt sich manchmal gemütlich, versucht an anderer Stelle wieder aufzuholen, was zuvor vertrödelt wurde und die Zeit bewegt sich nicht immer linear...
Die geschilderten Eigenschaften des Textes machten und machen ihn nicht leicht zugänglich - vielleicht schon zur Zeit seiner Entstehung, wenn man die Zahl erhaltener Handschriften als Indiz für den Erfolg aufzufassen bereit ist. Auch in der neueren Zeit galt die Crône vielen als ausuferndes Unikum, das - anders als die klassischen Werke des Genres - keiner besonderen Beschäftigung würdig sei ..
Nun, diese Einstellung hat sich größtenteils geändert; mittlerweile gilt die Crône als Stück Literatur, mit dem es sich zu befassen lohnt - davon geben die zahlreichen Fachartikel und Bucherscheinungen Kunde, die sich einzelnen Aspekten des Werkes, etwa den Bezügen zum Werk anderer Dichter oder den verwirrenden Wunderketten, widmen. Eine allumfassende Interpretation würde wohl eine zu große Menge an Seiten füllen. Jedenfalls darf man getrost die Behauptung aufstellen, dass es sich bei der Crône mittlerweile um einen der meistdiskutierten Artusromane des deutschen Mittelalters handelt ...
Stellen also Inhalt und die Struktur schon eine gewisse Herausforderung für den neuzeitlichen Leser - aber, das sei angemerkt, auch einen ungeheuren Reiz ob der Farbigkeit und Rätselhaftigkeit mancher Szenen -, so erschwerte die Tatsache, dass es seit dem Jahr 2000 (Verse 1 - 12281) beziehungsweise 2005 (Verse 12282 - 30042) zwar endlich wieder eine Neuausgabe des Textes gab, aber dazu leider keine neuhochdeutsche Übertragung, das Befassen damit zusätzlich.
Nun, wie den beigefügten Bildern zu ersehen ist, ist zumindest diese Schwierigkeit, wenn schon nicht ganz ausgeräumt, so zumindest abgemildert. Die abgebildete Neuerscheinung (2012) stellt die erste und derzeit einzige neuhochdeutsche Übersetzung des Wekes zur Verfügung. Gut so, meinen wir, und es war höchste Zeit ...
Einen kleinen Wermutstropfen finden wir darin, dass es sich um keine zeilengenaue Übersetzung handelt - aber offensichtlich wäre der Aufwand für ein derartiges Vorhaben zu groß gewesen. Trotzdem, wir freuen uns über diese Ergänzung. Schließlich ist der neuhochdeutsche Text begleitend mit der Nummern der zugehörigen Verststellen versehen, so dass ein paralleles Mitverfolgen mit dem Original problemlos möglich ist. Dass der Übersetzter, Florian Kragl, ein absoluter Fachmann auf dem behandelten Gebiet ist - er war ja einer der Bearbeiter an der Crône Neuausgabe - und zur Übersetzung noch einen äußerst informativen Kommentar beisteuert, erhöht den Nutzen noch weiter...
Gelesen werden sollte aber jedenfalls, wie bei allen mittelhochdeutschen Verserzählungen) das Original, denn nur dann erschließt sich die Schönheit der Sprache. Schließlich käme auch niemand auf die Idee, Schillers oder des Herrn Geheimrates Gedichte in Form von Nacherzählungen zu lesen. Und das ist recht so. Jedenfalls gibt's hier eine klare Leseempfehlung für die Crône, die manchem bei der Lektüre nicht nur als 'die Krone aller Abenteuer' erscheinen mag, sondern auch als Urahn unseres Fantasyromans und als Vorbild phantastischen Schreibens.
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