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Sitten und Erziehung
unbekannter Autor
ca. 1250
L`Ordene de chevalerie
Hintergründe und zeitgeschichtliches Umfeld:
Jeder kennt sie aus Büchern oder vom Kinobesuch: Die Ritter des Mittelalters, wie sie, in farbenprächtige Gewänder gehüllt oder durch schwere Rüstungen geschützt, auf dem Turnierplatz erscheinen, wie sie die Armen, Schwachen und - mit besonderer Vorliebe - manch hübsche Maid gegen böse Finsterlinge beschüt- zen. Schnell ist man mit dem Begriff 'ritterlich' zur Hand und auf Mittelalterveranstaltungen stehen die ei- sernen Männer sowieso im Mittelpunkt.
Und doch ist es gar nicht so einfach, zu beschreiben, was denn nun einen geschichtlichen Ritter ausmachte, welche Eigenschaften, Verhaltensformen und Zerimonien einen rittelalterlicher Kämpfer zum Ritter werden ließen. Selbst in ihrer eigenen Zeit gab es Ungereimtheiten und Unklarheiten darüber, welche Merkmale ei- nen chevalier, wie der französische Begriff lautet, denn auszuzeichnen haben.
Dies liegt einerseits in der heterogenen Zusammensetzung dieses 'Standes' begründet: Vom unfreien Mi- nisterialien bis hinauf zu Königen und zum Kaiser selbst fühlten sich Männer dem Rittertum zugehörig. Ob- wohl in vollständig unterschiedlicher Machtpositionen und sozialen Stellungen beheimatet, gab es zwischen ihnen trotzdem ein Gefühl der Zusammengehörigkeit: man kämpfte auf die selbe Art und suchte sich in den selben Tugenden zu üben.
Um genau zu sein, müsste man anmerken, dass über die Reihung und Wichtig- keit der einzelnen Tugenden keine exakte Übereinstimmung herrschte. Man war sich nur einig, dass gewis- se (wie hövescheit, mâze, triuwe, staete) einfach 'dazugehörten', dass aber auch Äußerlichkeiten erfüllt sein mussten: So sollte der Ritter ausreichend Reichtum besitzen, um es sich erlauben zu können, milt, also freigiebig, zu sein ...
Andererseits wächst das 'klassische' Ritterideal erst nach und nach aus mehreren Strömungen zusammen. Nun ist hier nicht der Ort dazu, im Detail auf diese einzelnen Quellen einzugehen. Weil so komplex, aber auch interessant, muss dies folgenden Artikeln vorbehalten bleiben. Soviel sei aber hier schon vorwegge- nommen, dass die Tugenden, deren sich der Ritter befleißigen soll, einerseits von einem kirchlich-religiösen Ritterideal herrühren (miles Dei, der Ritter als Krieger Christi und der Kirche).
Daneben resultieren manche Wertvorstellungen von einem 'romantischen' Ritterideal her, das auch in den Minneliedern seinen Ausdruck findet - mit dem Dienst an der vrouwe, mit dem Schutz der Machtlosen. Und nicht zuletzt ist es auch der kriegerische Hintergrund der berittenen Kämpfer selbst, der ihre Vorstellungen und ihr Selbstverständnis beeinflusst. Dieses feudale Ritterideal zeigt sich in der Begierde nach Kämpfen und in der dauernden Suche nach Ruhm und straft den mit Ehrverlust, der sich dessen enthält. Dies passiert etwa Erec, der sich mit seiner äußerst reizvollen, frischangetrauten Ehegattin 'verliegt' und der seine Ver- fehlung nur durch eine weitere Abenteuerfahrt tilgen kann, auf der er eine Reihe von Kämpfen hinter sich bringt.
Viele Autoren versuchen in ihren Schriften Vorschläge herauszuarbeiten, wie ein Ritter zu leben habe: Kirchliche Autoren ebenso wie weltliche, wobei die Gewichtung der erwünschten Eigenschaften naturgemäß eine jeweils andere ist. Eine eigene Sparte entsteht, die theoretische Abhandlungen über die Thematik zum Inhalt hat. Leitfäden, wie ein ritterliches Dasein zu gestalten sei, in der Volkssprache verfasst und zur Er- ziehung gedacht - vergleichbar den Fürstenspiegeln. Mit einer ungefähren Entstehungszeit um 1250 steht der Ordene de chevalerie als eines der ersten Werke dieser Art am Beginn einer ganzen Reihe von Schri- ften, die bis ins 16. Jahrhundert hinein erscheinen werden.
Der Autor des versförmig abgefassten altfranzösichen Lehrgedichts ist nicht bekannt. Vielleicht handelte es sich tatsächlich um einen Kleriker, wie von mancher Seite vermutet, doch ist auffallend, dass im Werk selbst kirchliche Institutionen bei der Ausbildung und beim eigentlichen Akt der Schwertleite keine Rolle spielen. Es sind Laien, welche die Ritterwürde verleihen. Inhaltlich mit einer Rahmenhandlung beginnend, eine Erzählweise die bei derartigen theoretischen Abhandlungen häufig gewählt wurde (man vergleiche nur mit dem Libre del orde de cavayleria des berühmten Ramon Llull), werden die eigentlichen Regeln innerhalb dieser Handlung eingebettet präsentiert.
Zum Inhalt des Werkes :
Hugo, Graf von Tiberias, einer Stadt in Outremer, wird während einer Schlacht im Heiligen Land von Sultan Saladin gefangengenommen, wobei er durch seine außergewöhnliche Tapferkeit jedoch dessen Respekt er- wirbt. Saladin verspricht ihm seine Freilassung, wenn Hugo ihm zeige, wie nach Christenrecht Ritter gemacht würden. Nach anfänglichem Zögern willigt der Graf schließlich ein, da ihm als Alternative eine sehr hohe Löse- geldforderung droht. Das Gedicht konzentriert sich nun auf dieses Ritual, wobei bei jedem Schritt dieser Zeri- monie auch dessen Symbolgehalt erläutert wird.
Zuerst kämmt Hugo Saladins Bart und Haar. Daran anschließend setzt er ihn in ein Bad: Dies sei das Bad der Höfischkeit und Mildtätigkeit und solle den Sultan an die Kindestaufe erinnern, denn er müsse so frei von al- ler Sünde daraus hervorgehen wie ein kleines Kind aus dem Taufbecken.
Dann bringt er ihn in ein schönes Bett: Dies bedeute den Frieden des Paradieses, erklärt er dem Sultan, nach dem jeder Ritter durch seine ritterlichen Tugenden streben solle.
Daran anschließend kleidet er Saladin in ein weißes Gewand um die Reinheit des Körpers anzuzeigen. Über diese Gewandung wirft er einen scharlachroten Umhang, der seinen Träger an die Pflicht des Ritters gemah- nen soll, falls nötig mit seinem Blut für den Schutz der Kirche Gottes einzutreten. Braune Strümpfe sollen auf die Erde hinweisen, in der er nach seinem Ende liegen werde, und ihn daran erinnern, sich Zeit seines Le- bens auf seinen Tod vorzubereiten.
Er umwindet Saldins Hüften mit einem weißen Gürtel, welcher die rechte Keuschheit versinnbildlicht und ihn ermahnen soll, die Lust seiner Lenden zurückzuhalten. Danach schnallt er ihm ein Paar goldener Sporen um: So schnell wie ein angesporntes Schlachtross soll der Ritter den Geboten Gottes folgen.
Zuletzt umgürtet Hugo den Sultan mit dem Schwert, dessen zwei Schneiden dem Ritter anzeigen sollen, dass jederzeit Gerechtigkeit und Treue gemeinsam seine Eigenschaften seien und es seine Aufgabe sei, die Armen vor mächtigen Unterdrückern zu schützen. Vor dem leichten Schlag mit der Hand (frz. collée), den der Gürten- de nun dem Ritteranwärter eigentlich hätte geben müssen, schreckt Hugo jedoch zurück: Er als Gefangener darf seinen Herrn nicht schlagen.
Er legt Saladin aber Gebote auf, die dieser zu befolgen hat: Er dürfe sich mit keinem falschen Gerichtsurteil einverstanden zeigen, noch sich an irgendeiner Art von Verrat beteiligen; er müsse alle Frauen und Jungfrau- en ehren und bereit sein, ihnen bei Gefahr jederzeit beizustehen. Und schließlich möge er jeden Tag, so dies möglich, eine Messe hören und jeden Freitag zum Gedenken an die Leiden Christi fasten.
Das Lehrgedicht hat uns, zusätzlich zur eigentlichen Zerimonie, einige weitere interessante Aspekte zu bie- ten: So zeigt es, dass Sultan Saldin, der 1187 das christliche Heer von Jerusalem in der Schlacht von Hattin vernichtend geschlagen hatte und im dadurch ausgelösten dritten Kreuzzug zum großen Gegner des Richard Löwenherz geworden war, um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts bereits als edler, ritterlicher Gegner der Christen betrachtet wurde.
Die Bedeutung der ritterlichen Tugenden wird hervorgehoben: Treue und Höfischkeit werden ausdrücklich erwähnt, Kraft und Tapferkeit sind die Voraussetzung dafür, dass Hugo im Kampf Saladins Aufmerksamkeit erregt und die Freigebigkeit kommt am Schluss des Gedichtes zur Geltung, als nämlich Saladin seinen christ- lichen Gefangenen in die Freiheit entlässt und das dafür ausstehende Lösegeld aus seinem Schatz begleicht.
So zeigt uns das Gedicht, dass jeder Akt der beschriebenen Zerimonie eine tiefere symbolisch Bedeutung besaß, welche von jenen Männern, die sich einem solchen Ritual unterzogen, auch verstanden wurde. Nicht zuletzt die Popularität, welche der Ordene im Mittelalter besaß, gibt Nachweis darüber ...
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