Sælde und êre - Es nahen die besinnlichsten Nächte des Jahres ...

Anbetung des Kindes, Stephan Locher, um 1450

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... und mit Schrecken bemerken wir, dass erneut ein Jahr verstrichen ist. Schon wieder naht die Weihnacht! Und mit ihr die Zeit, in der es gilt, sich zu besinnen, um die hektischen Bemühungen des Alltags hinter sich zu lassen; die Zeit, um vor dem prasselnden Kamin Platz zu nehmen, ein gutes Buch zur Hand und den schnurrenden Kater auf den Schoß. Und während draußen, vor dem Haus, die ersten Flocken als Vorboten des freudigen Ereignisses herniedertanzen, lasst uns zur Tasse greifen mit dem duftenden Tee und - für einen Augenblick - entspannt die Augen schließen. Denn alles ist getan, alles bereitet und so wollen wir uns freuen auf das schönste Fest des Jahres ...
Vergesst sie nicht, eure Lieben und die, die euch etwas bedeuten. Darum wünschen auch wir euch besinnliche und frohe Feiertage und einen guten Rutsch in das neue Jahr 2012. Möge einem jedem von euch das gelingen, das er sich am sehnlichsten wünscht, möget ihr wohlbehalten und glücklich verbleiben, auf dass es noch vieler solcher Weihnachtswünsche geben wird ...

Nu sîs uns willekomen hêrro Crist,
du unser aller hero bist!
nu sîs uns willekomen lieber herro,
der du in den kirchen stast scôno.
Kyrieleison.

Nu ist uns geborn unser aller trôst
der die hellischen porten mit sîm kriuze ûfslôz.
diu mueter ist geheizen Marjâ,
also in allen kristen buechen stât.
Kyrieleison.

(Sys willekommen, heire kerst, Weihnachtslied, 11 Jhdt., in einer Rückübersetzung ins Mittelhochdeutsche)

Doch halt, wird jetzt vielleicht manch einer sagen, so wie hier geschildert, sähe es doch gar nicht aus bei ihm! Denn einen Kamin, den gäbe es schon längst nicht mehr in seinem Heim, nur die Fernwärme und allenfalls noch das Feuer als prasselndes TV-Abbild, das aber nicht wirklich zu wärmen verstände. Der Kater, sofern vorhanden, schere sich keinen Deut um Weihnachtsmelancholie, vielmehr um's Dosenfutter, zarte Flocken vom Himmel hätte er heuer noch gar keine gesichtet, oder in so großen Mengen, dass es nichts anderes mehr zu sehen gäbe vor dem eingeschneiten Haus. Und Tee, Tee könne man ohnehin nicht leiden ...

Wenn's also so steht, bei euch zuhause, dann grämt euch nicht darum. Denn hektische Besorgungen so kurz vor Weihnacht, die Suche nach Geschenken in überlaufenen Einkaufsstraßen, das Niesen und Husten, wenn man denn mit prallgefüllten Einkaufstaschen eingezwercht in der überfüllten U-Bahn steht - alles das hat auch seinen Reiz. Denkt nur an das viele schöne weihnachtliche Liedgut, das uns dieser Tage begrüßt, wenn wir die Hallen der Krämer betreten, um dort das eine oder andere Geschenk zu erfeilschen.

Denn es ist eine ehrenwerte Tradition, das Musizieren und das Singen zu Christi Geburt. Mögt ihr doch nur die Bilder alter Meister betrachten, die die Heilige Familie in Bethlehems berühmtesten Stall abgebildet haben. Sind dort nicht Hirten zu finden, mit ihren Flöten und Schalmeien? Und die Engel? Laut posaunen sie das freudige Ereignis in die weite Welt hinaus ...

Halt, halt, halt, werdet ihr rufen. Jetzt wo unser Interesse am traditionellen Festgesang erweckt ist, jetzt kommt ihr uns mit Liedern von Hirten und Engeln. Von Hirten, die wir nicht länger befragen können, wie denn ihre Weisen zu spielen wären. Und mit den Engeln verhält es sich nicht viel anders; ganz abgesehen davon, dass der musikalisch völlig unbedarfte Nachbar in der Wohnhausanlage kaum Verständnis für ein abendliches Posaunensolo aufbringen würde ...

Nun, dann lasst uns sehen, was es denn an überlieferten Weihnachtsliedern gibt aus jenen guten alten Zeiten, in denen man Problemen noch mit eisernem Handschuh begegnen konnte und Finanzkrisen unverzüglich mit der nachdrücklichen Einladung reicher Pfeffersäcke ins traute Burgverließ begegnete. Weiter oben findet ihr den Text des vermutlich ältesten überlieferten deutschsprachigen Weihnachtsliedes 'Sys willekomen, heire kerst' in einer Rückübersetzung in eine Sprachform, wie sie bei seiner Entstehung (um 1000 n.Chr) gelautet haben könnte. Überliefert ist uns der Text übrigens erst in einem Aachener Fragment aus dem 13. oder 14. Jahhundert.

Wer so seine Probleme damit hat, seinen Sopran oder Tenor in Mittelhochdeutsch zu himmlischer Klarheit zu führen, der mag stattdessen das bekanntere 'Josef, lieber Josef mein' anstimmen, dessen Melodie auf einen älteren lateinischen Choral zurückgeht (die mehrfache Verwendung von Melodien war ja durchaus gebräuchliche Praxis damals) und dessen deutschsprachiger Text im 14. Jahrhundert entstanden sein dürfte.

Vielfach wurden im Mittelalter lateinische Hymnen mit deutschsprachigen Teilen, sogenannten Leisen, zu verbinden, ein Brauch, der sich in manchen Weihnachtslieder erhalten hat, wie etwa im 'In dulci jubilo' oder im 'Gelobet seist du, Jesu Christ' dass ebenfalls ins späte 14. Jahrhundert zurückreicht. Und auch Martin Luther fand neben seinen Nagelarbeiten noch Zeit um deutschsprachige Weihnachtslieder zu schaffen, für die er die Texte lateinischer Lieder übersetzte.

Also dann, ihr lieben Leute, auf! Macht euch ans Üben, damit ihr dann am Heiligen Abend das Fenster zum Balkon öffnen könnt und euer Kyrieleison in den Hof hinabschmettern. Und danach lasst die besinnlichen Weihnachten beginnen, stürzt euch auf die Tafel, seid die Ersten am Festbankett, schneidet Bänder, reisst auf die Päckchen ....

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