Sælde und êre - Gewandung in der mittelalterlichen Literatur

Wigalois - Gewandung der Flôrîe, Teil 1

Zurück zur Arbeitsgruppe Mittelalterliche Gewandung, zum Anschlagbrett, oder zur Hauptseite

Die Gewandung einer hochgestellten Dame war nichts, dass man um billiges Geld erwerben hätte können - Bildauszug aus dem Codex Manesse

Das Mittelalter war ein Zeitalter der Gegensätze: Frömmigkeit und tiefes Sinnen standen wütendem Toben und Grausamkeit, Ar- mutsgelübde und Bettelorden standen Prunksucht und Prahlerei gegenüber. In einer Zeit, in der es so sehr auf das äußerliche Zur- schaustellen von Macht und sozialem Status ankam, musste auch die Gewandung von hochgestellten Persönlichkeiten auserlesen und teuer sein, waren die teuersten Stoffe und Pelze eben gut genug. Klar, dass dies gerade auch für Frauen zu gelten hatte, wie man aus dem folgenden Auszug, der aus dem höfischen Roman Wigalois des Wirnt von Grafenberg stammt, erkennen kann (siehe dazu auch folgende Anmerkungen):

Kleiner Zwischenraum

Wigalois (721ff.)

...
Als er in den Saal trat,
empfing ihn die Köhnigin
und danach eine so schöne Jungfrau
dass keine lebte, wie man erzählt,
zu ihrer Zeit, die ihr ebenbürtige gewesen wäre.
...
Wie uns die Geschichte erzählt,
war die Jungfrau sehr gut gekleidet,
wie es ihr zustand
und wie es einer edlen Jungfrau angemessen war.
Sie trug eine weites Oberkleid
aus zweierlei Brokat,
gleich breit geschnitten
glatt und kostbar;
der eine war grün wie Gras,
der andere von roter Farbe,
beide mit Goldfäden durchwirkt.
Das Kleid war gefüttert
mit großer Sorgfalt;
hellweißer Hermelin
überzog es;
der Hermelinpelz seinerseits säumte
das Oberkleid in gleicher Linie.
Kunstvoll geschnürt
war das Hemd darunter;
es verwunderte den Ritter,
dass es so hell blendete;
wie ein glänzender Spiegel
wirkte dieses Hemd;
es deuchte ihn seltsam,
dass es so fein sein konnte;
es war aus weißer Seide,
mit goldenem Faden geschnürt.
Zur Kleidung passend war
der Gürtel, den die Jungfrau trug;
das war ein ausgezeichnetes Band,
mit Gold und Edelsteinen
verschiedener Größen besetzt.
Aus einem Smaragde,
grün wie Gras, war
die Schnalle geformt,
ein goldener Adler zur Zier darauf
mit zierlichem Schmelzwerk;
die Arbeit war herrlich anzusehen.
Die Gürtelbeschläge
bestanden aus goldenen Tieren,
die mit großer Sorgfalt gewirkt waren;
dazwischen waren weiße Perlen
aufgestickt.
So war der Gürtel bedeckt
mit edlem Gestein.
...
Auch war ein edler Rubin
seines herrlichen Glanzes wegen
vorne in den Gürtel eingelegt:
...

Hier geht's zur Fortsetzung,

Kleiner Zwischenraum

Anmerkungen:

Der höfische Roman Wigalois des Wirnt von Grafenberg (mhdt. Grâvenberc) dürfte etwa um das Jahr 1220 herum entstanden sein und ist in bayrischem Dialekt abgefasst. Über den Autor ist nichts bekannt, außer jenes, was sich aus seinem einzigen erhaltenen Werk, sowie den Werken zeitgenössischer Dichterkollegen entnehmen lässt. Vermutlich entstammte er einem Ministerialienge- schlecht aus dem heutigen Gräfenberg in Oberfranken, worauf neben dem Namenszusatz auch Textstellen im Werk hinweisen.

Nimmt man die Anzahl der erhaltenen Handschriften als Indiz für die Verbreitung des Textes im Mittelalter, dann dürfte sich Wirnt's Roman sehr großer Beliebtheit erfreut haben. In ihm wird die Geschichte Wigalois erzählt, des 'Ritters mit dem Rade', der bei seiner Feenmutter Flôrîe aufwächst, ohne seinen Vater Gâwein, den besten der Artusritter, zu kennen. Er macht sich auf die Suche und findet am Hof des vortrefflichen Königs schließlich Aufnahme in dessen Runde - immer noch unerkannt. Wie die Geschichte des Wigalois ihre Fortsetzung findet, diese Schilderung muss jedoch einem anderen Artikel vorbehalten bleiben ...

Wirnt dichtete offensichtlich für ein ausgewähltes, adeliges Publikum. Davon zeugen die ausführlichen Schilderungen von Schlach- ten und Zweikämpfen, aber auch die Schilderungen von Waffen, von Wigalois Schild, das als Erkennungszeichen das Glücksrad der Sælde trägt. Ebenso wird dem weiblichen Publikum einiges geboten, wenn man davon ausgeht, dass die ausführlichen Modeab- schnitte (die Schilderung von Flôrîes Aufmachung füllt allein einige Seiten) hauptsächlich für die Ohren der zuhörende Damen be- stimmt waren. Allerdings zeichnen manch mittelalterliche Darstellungen und Texte durchaus auch ein Bild von, vorsichtig ausge- drückt, modebewussten Männern (Böse Zungen würden von 'geckenhaft' sprechen - man denke da nur an die berüchtigten Schna- belschuhe ... ). Und die frommen Kirchenmänner konnten von ihren Kanzeln herab gar nicht genug vor den Versuchungen all dieser teuflischen Modetorheiten warnen.

Die Frage, ob der Autor in seinen Schilderungen die Moderealität des zeitgenössischen Adels beschreibt, oder ob er eher einen Ide- alzustand ausmalt, dürfen wir mit einem überzeugten 'wahrscheinlich von beidem etwas' beantworten. Realität und Literatur wer- den sich in gewissem Ausmaß gegenseitig beeinflusst haben: So haben die Autoren bestehende Zustände für ihre Beschreibungen herangezogen, diese in Prachtentfaltung und Aufwand jedoch bewusst auch wiederum überzeichnet. Schließlich erwartet das Pub- likum mit den Geschichten vom Hofe Artus, des Untadeligsten aller Könige, selbstverständlich auch von allergrößter Prachtentfal- tung zu hören. Andererseits wirkten diese literarischen Modetrends möglicherweise wieder auf die adelige Hörerschaft zurück, die sich in Nachahmung versuchte, so weit ihr das finanziell möglich war ...

Kleiner Zwischenraum

Zurück zur Arbeitsgruppe Mittelalterliche Gewandung, zum Anschlagbrett, oder zur Hauptseite

© 2008, Gestaltung und Inhalt: H. Swaton - alle Rechte vorbehalten