Chramer, gip die varwe mier ...
Das vorgestellte Lied ist eines der bekanntesten aus einer berühmten Handschrift, bekannt auch heute noch in seiner modernen Vertonung. Es wird einer Frau in den Mund gelegt, die ganz den weltlichen Freuden verhaftet ist und der Liebe, voller freudiger Erwartung, und kokett um ihre Reize weiß; vielleicht rührt es uns ja gerade deshalb so an im Ton, weil das Denken, das darin zum Ausdruck kommt, uns so bekannt erscheint. Wer, fragen wir, will nicht anderen gefallen, zumal in der Jugend, wenn es darum geht sich zu richten und vorzubereiten auf nächtlichen Tanz, auf Reigen und die Freuden des Kokettierens ...
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Krämer, gib die Farbe mir ...
Krämer, gib die Farbe mir,
die meine Wange rötet,
damit ich die jungen Männer
ohne ihr Wollen zur Liebe nöte.
Seht mich an,
ihr jungen Männer,
lasst mich euch gefallen!
Liebt, ihr tugendsamen Männer,
doch minnigliche Frauen!
Liebe macht euch stolz und frohgemut
und lässt euch in hohen Ehren erschauen.
Seht mich an,
ihr jungen Männer,
lasst mich euch gefallen!
Wohl dir, Welt, dass es dich gibt,
du freudenreiche!
Ich will dir untertan sein
durch deine Liebe auf immer unverbrüchlich.
Seht mich an,
ihr jungen Männer,
lasst mich euch gefallen!
Chramer, gip die varwe mier ...
Chramer, gip die varwe mier,
diu mîn wengel roete,
dâ mit ich die iungen man
an ir danch der minnenliebe noete!
Seht mich an,
jungen man,
lât mich eu gefallen!
Minnet, tugentlîche man,
minneklîche vrauwen!
minne tuet eu hoech gemuet
unde lât euch in hoehen êren schauwen.
Seht mich an,
jungen man,
lât mich eu gefallen!
Wol dir werlt, daz du bist
also vreudenrîche!
Ich wil dir sîn undertân
durch dîn liebe immer sicherlîche.
Seht mich an,
jungen man,
lât mich eu gefallen!
Anmerkungen:
Wenn wir dann noch vernehmen, dass es die Carmina Burana ist, diese große Sammelhandschrift, die im frühen 13. Jahrhundert wohl in Tirol entstanden ist, der wir die Überlieferung dieses Liedes verdanken, dann lautet unser erster Gedanke: 'Ist doch klar, wess' Gedanken Kind dieser Text ist!'. Denn womit sonst verbinden wir die großteils lateineischen und (in bedeutend geringerem Ausmaß) mittelhochdeutschen Lieder, die darin auf uns überkommen sind, als mit Vagantenliedern, in denen es ums Trinken geht und um manch Blümlein, das gebrochen wird - auch und vor allem auf sehr deftige Art.
Doch halt! Weniger bekannt und vielleicht ein wenig überraschend, enthält der Codex Buranus auch eine Art von erbaulicher Alternative, wie man sie ob der Inhalte der anderen Texte hier kaum vermuten würde. Sechs geistliche Spiele sind es, in mehr oder weniger vollständiger Form, die da angefügt sind.
Unser angeführter Text entstammt nun einem solchen Spiel, nämlich dem großen Benediktbeurer Passionsspiel, das zweisprachig (Latein/Mittelhochdeutsch) ausgeführt ist; ein Hinweis darauf, dass es für die Aufführung vor einer breiteren Bevölkerungsschicht gedacht war. Dort gehört unser Lied in die Szene, die der 'Sünderin' Maria Magdalena gegeben ist. In 281 Zeilen schildert dieses Spiel, wie der Name schon sagt, fragmentarisch die Passion Christi - mit der Berufung der Jünger beginnend und mit der Verspottung des Gekreuzigten endend (wobei die gegenwärtige Forschung darüber streitet, ob nicht eine Grablegungsszene das wahre Ende darstellen müsste.)
Gemeinhin unterteilt man das Spiel in neun Szenen, dazu gehören - ganz charakteristisch - die Marienklagen und an früherer Stelle die Magdalenaszenen (die man sich aus einem früheren Wiender Passionsspiel übernommen denkt). In diesen ist Maria Magdalena den (nach mittelalterlicher Sichtweise) Todsünden Wolllust und Hochmut verfallen. Dorthin gehört auch unser Text. Sie fiebert den Wonnen entgegen, die die Welt bereithält, bezeichnet die Lust, die sie gewährt, als süß und angenehm, und will keinesfalls auf ihre Vergnügungen verzichten. Für die Freuden der Welt, wäre sie bereit ihr Leben hinzugeben, ohne sich um andere Dinge zu kümmern. Also läuft sie zum Krämer, um sich Salben und wohlriechende Essenzen zu besorgen, um sich zu baden und zu schminken, für die jungen Männer und die Wonnen, die sie ihr bereiten sollen.
Aber wir haben es hier mit einem geistlichen Spiel zu tun. Und wer unseren Beitrag über des Verhältnis von Tanz, weltlichen Freuden und Kirche gelesen hat, der weiß, dass etwas geschehen muss, um Marias Seele zu retten. Also erscheint ihr - nächtens, während sie sich tagsüber den weltlichen Freuden hingibt, ein Engel, um sie zu mahnen. Schlussendlich wird sie sich bekehren und zum Zeichen dieser Umkehr alles Bunte, Prächtige ablegen und fortan nur noch Schwarz tragen. Der Rest ist aus dem Neuen Testament bakannt: Wie allen, die aufrecht bereuen, verzeiht Jesus auch ihr ...
Doch sind wir froh, dass dies nicht zu früh geschah. Denn sonst wäre uns das reizende Lied verloren gegangen (das übrigens auch Carl Orff in seine Carmina Burana-Vertonung aufgenommen hat) - und um das wäre allemal schade gewesen ...
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