'Der gesach nie schœner wîp ... ' behauptet Dietrich von der Glezze
Wer sich mittelalterliche Literatur zu Gemüte führt, der tut dies - soferne männlich - ausgesprochen gern. Wimmelt es doch in all diesen wunder- und sonderbaren Aventiuren doch regelrecht vor schönen vrouwen, wîben und maiden, vor tugendhaften Königstöchtern und verführerischen Feen. Und alle die, die von ihnen berichten, die Autoren, die uns nicht selten versichern, nur reine Wahrheit widerzugeben, überschlagen sich mit den Attributen, wenn es darum gilt, ihre Dame als die schönste von allen zu preisen.
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Der gesach nie sch?ner wîp ...
(Der Borte, Vers 31 ff)
Er hatte eine Frau zur Ehe genommen,
die besaß alle Tugenden
und war von edler Abstammung.
Wer sie kennenlernte,
der gestand, nie eine schönere Frau gesehen zu haben:
Weh, wie prächtig waren ihr Leib,
ihr blondgelocktes Haupt,
ihre rosenfarbenen Wangen,
ihr lilienweißes Gesicht.
Ich staune
über die Klarheit ihrer Augen,
mit denen sie wie ein Adler zu sehen vermochte.
Ihre fein geformte Nase
war weder zu groß, noch zu klein,
darunter ihr Mund rosenrot.
Wie glücklich der, den sie damit küsste!
Ihr Kinn weiß und rund,
die Haut am Hals so zart,
dass man ihn durch die Kehle fließen sah,
wenn die schöne Dame trank.
Ihre Zähne glichen Elfenbein,
ihre Zunge einer goldenen Spange.
Ihre Schultern wunderschön,
ihre Hände und Arme von höfischer Anmut
standen ihr bestens an.
Ihr Herz war voller Tugend.
Wer ihr in die Augen sah,
dem tat die Minne Ungemach!
...
Der gesach nie schœner wîp ...
(Der Borte, Vers 31 ff)
Er hete ein wîp zer ê genomen,
diu was mit ganzen tugenden komen
Von edelem geslehte;
der sie bekande rehte,
Der gesach nie schœner wîp:
wê, wie stolz was ir lîp,
Ir houbet, darûf gelwez hâr,
stolz ir wengel rôsen vâr,
und liljen wîz dar under,
mich nimet michel wunder,
Daz ir ougend sint sô klâr
sie siht reht sam ein adelar;
ir wol geschaffen nase bein
Was ze grôz, noch ze klein,
Ir munt dar under rôsen rôt;
wie sælik, dem sie ir küssen bôt!
Ir kinne wîz, sinewel,
ir kel waz ein lûter vel,
Dâ durch sach man des wînes swank,
swenne die sch?ne vrouwe trank;
Ir zene sam ein helfenbein,
ir zunge sam ein guldîn zein,
Ir ahsel vil siuberlîch,
ir hende, ir arme ritterlich
Stuonden ir ze wunsche wol;
ir herze daz was tugende vol.
Swer ir an ir ougen sach,
dem tet ir minne ungemach.
...
Anmerkungen:
Wir glauben es ihnen, glauben es jedem einzelnen und erfreuen uns der Vorstellung, die ihre begeisterten Schilderungen vor unserem inneren Auge entstehen lassen, der Beschreibungen, die einem immer ähnlich bleibenden Kanon 'vom Kopf bis zu den Füßen' gemäß zu erfolgen haben, wobei die Mitte einmal mehr - *seufz -, einmal weniger ausgespart bleibt. Sei's darum - wozu gäbe es denn sonst schließlich die Phantasie?
Doch was, wenn nun einer fragte, wer denn nun die Allerschönste sei von all den Condwiramurs, Flories, Enides und wie sie sonst noch heißen? Schließlich könne es nur eine Einzige geben, der am Ende dieser Titel gebühre, so wie es nur einen geben könne, der sich am Abend als Sieger des Tjostes feiern lassen dürfe ... Nein, ihr lieben Leute, ihr, die ihr so denkt, ihr habt Unrecht!
Wie das, fragt ihr? Nun, es gibt sie nicht, die eine Schönste. Dafür so unzählig viele hübsche Maiden, dass die eigene Ehefrau schon einmal gram darüber werden mag, wenn ihr wieder einmal versonnen lächelnd eine solche beim Vorbeiflanieren betrachtet. Aber, so versichert der Gattin rasch, es ist immer eure Minne, die unter den Vielen sie stets die Allerschönsten für euch bleiben lässt!
Dennoch, ein Blick lohnt sich allemal. Zumindest auf die Heldinnen besagter alter Aventiuren; nehmt die Schilderungen, lest sie und vergleicht. Die Beschreibung einer, von der wir meinen, dass sie in den (gar nicht so) engen Kreis jener gehört, die bleibenden Eindruck beim Leser hinterlassen, ist jene hübsche, tugendvolle junge Dame, deren Beschreibung uns Dietrich von der Glezze in seiner Verserzählung 'Der Borte' (Der Gürtel) geschenkt hat. Denn, mal ehrlich, wer hätte denn anderswo schon so feiner, weißer Haut gehört, als dass man den Wein beim Trinken durch die Kehle fließen hätte sehen können?
Zudem uns die Dame in besagter Mär nicht nur durch ihre körperlichen Attribute sondern auch durch ihre Gewitztheit beeindrucken kann; nimmt sie doch des Wartens überdrüssig, durchaus unüblich das Schicksal in ihre eigene Hand, als ihr der Ehemann - nicht ganz durch ihre Schuld - abhanden kommt und abhanden bleibt. Aber das ist schon vorausgegriffen; über diese Sache werden wir demnächst berichten ...
Unser Erzähler - Dietrich - hat sich ja bereits an an anderer Stelle der Erzählung als großer Frauenverehrer verraten; darum, liebe Leserinnen, seid nur nicht zu eifersüchtig, dass er nun eine bestimmte Dame zum Inhalt seiner Schilderungen macht. Hätte er euch gekannt, nun, ohne Zweifel wärt ihr es gewesen, denen er solches Lob zuteil hätte werden lassen ...
Aber so ist es eben die obgenannte Dame, der er übrigens soviele positive Attribute zuteil werden lässt, dass wir uns entschlossen, diese euch nicht in einem, sondern vielmehr in zwei Teilen zukommen zu lassen. Schließlich dürfen wir euch nicht zur Gänze den Schlaf rauben, durch eine zu erregende Schilderung einer dieser vielen Allerschönsten, die uns beim Streifzug durch die mittelalterliche Aventiuren allenthalben begegnen. Aber, dies sei hier versprochen, wir werden euch nicht vorenthalten, was er noch Schönes und Aufregendes über sie zu sagen weiß. Und das - psst! - ist eine ganze Menge ...
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