In mînem troume ich sach ...
Ein kurzes Liedlein von einem langen Traum - immerhin soll die Erscheinung ja die ganze Nacht bis zum Anbruch des Morgens ausgehalten haben -, so könnte man unseren heutigen Beitrag betiteln. Und dennoch, so beklagt sich der Autor, Herr Friedrich von Hausen, sei es zu kurz gewesen, dieses nächtliche Abenteuer, denn vom Licht des neuen Tages erweckt, schwand ihm die holde Schönheit dahin, noch ehe die Herzlose ihm verraten konnte oder wollte, wer sie denn sei und wo er sie finden könne! Und daran, meint er verbittert, seien nur die Augen schuld; sie schließlich meldeten das Hereinbrechen des Tages.
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In meinem Traum, ich sah ...
In meinem Traum, ich sah
eine wunderschöne Frau
die ganze Nacht bis an den Tag.
Da erwachte ich.
Da wurde sie mir leider genommen,
sodass ich nicht weiß, wo sie ist,
von der ich Freude empfangen sollte.
Das taten mir die Augen an -
auf die wollte ich verzichten!
In mînem troume ich sach ...
In mînem troume ich sach
ein harte schœne wîp
die naht unz an den tag.
dô erwachete mîn lîp.
dô wart si leider mir benomen,
daz ich enweiz, wâ si sî,
von der mir vroide solte komen.
daz tâten mir diu ougen mîn -
der wolte ich âne sîn!
Anmerkungen:
Ja, werdet ihr nun sagen, Träume, die kennt man doch, darüber lässt es sich leicht sprechen. Denn schließlich ist der nächtliche Kino etwas, das uns allen geläufig ist, wenn auch der eine sich besser daran entsinnen mag als der andere. Bis zu sechs Folgen pro Nacht soll unser Unterbewusstsein davon abspielen und manchmal, wenn wir zwischendurch erwachen - nicht ganz, gerade soviel, als dass wir uns des Erwachens bewusst werden -, und anschließend wieder in süßen Schlummer verfallen, mag es uns sogar scheinen, dass ein begonnener Traum eine Fortsetzung findet. Darum auch gestehen wir dem Dichter zu, dass er ein wenig übertreibt - die ganze Nacht das hätt' manch einer gern; in Wahrheit hingegen dauert's meist nur ein paar Minuten.
Aber es wär' kein mittelalterlicher Text, wenn alles so einfach zu lesen wäre, wie es denn aufgeschrieben steht. Das Minnelied, und um ein solches handelt es sich bei dem angeführten Text, unterliegt strengen formalen Regeln; da konnte nicht einfach ausgespro- chen werden was denn Sache ist, da mussten schon Andeutungen und Bilder für manches herhalten, was der werte Künstler im Sinne hatte. Und wie's denn so ist mit Angedeutetem - der eine versteht es so, der andere eben anders. Und schon bewegen wir uns in einem Graubereich, dessen Auslegungen vieldeutig sein können - zumal die Befragung der Autoren selbst zu ihren Intentio- nen, speziell im Falle mittelalterlicher Literatur, eine prinzipielle Schwierigkeit beinhaltet.
Um das, was es angibt zu sein, handelt es sich beim angeführten Lied jedenfalls nicht; also kein unglücklich endender mittelalter- licher 'one night stand' im Traummodus, also keine Schilderung eines vom Autor selbst erlebten Traums. (Wäre ja auch zu schön um wahr zu sein - meist träumt man stattdessen ja nur Unsinn zusammen ...) Nein, denn wir haben hier das Motiv des sogenann- ten Liebestraumes vor uns. Und das ist in der mittelalterlichen Lyrik ein geläufiges, das sich schon bei den frühen Trobadors findet und von denen wohl seinen Weg ins deutsche Sprachgebiet fand. Salopp gesagt, bot sich derart die Möglichkeit, alles auszuspre- chen und zu imaginieren, was sonst die Grenzen der Schicklichkeit gesprengt hätte. Frei nach dem Motto etwa, 'was kann ich schon dafür, für das, was mein Traum alles anstellt - und wenn's lauter Nackige sind, die darin herumspringen ...'
Also bot der vorgeschobene Traum die Möglichkeit auch im Hohen Minnesang mehr oder minder stark auf die sexuellen Aspekte der Liebe einzugehen. Neben Walther natürlich ist hier speziell noch Heinrich von Morungen zu nennen, der dieses Motiv verwendet, oder im französischen Raum Jaufre Rudel , der ähnlich wie unser Herr von Hausen den Schwerpunkt aufs Erwachen und somit - selber schuld- auf die Verlusterfahrung setzt. Entsprechungen für den Liebestraum finden sich aber auch in der lateinischen Lyrik.
Und warum wünscht unser ernüchterter Autor nach dem Erwachen seine Augen zum Teufel? Weil sie, das Tageslicht erkennend, den Rest von Friedrich aus dem süßen Schlummer schüttelten und somit seine nächtliche Liebste und somit sein Glück verscheuch- ten? Ja, mag wohl sein. Andererseits könnte er damit auch darauf angespielt haben, dass nämlich den Augen - nicht nur nach mittelalterlicher Meinung - eine entscheidende Bedeutung bei der Entstehung von Liebe zukam. Und somit in letzter Schlussfolger- ung schuld waren an Liebesleid, wenn denn der Mann nicht die Minne seiner Herrin gewinnen konnte ...
Jetzt seid ihr neugierig, was den Herrn von Hausen betrifft? Nun, über ihn, den wichtigsten Vertreter des Rheinischen Minnesangs gäb's wahrlich viel zu sagen, immerhin hatte er als Ministeriale Friedrich Barbarossas einen abenteuerlichen Lebenslauf. Nur wollen wir darüber zu anderer Gelegenheit berichten, wenn wir denn über ein berühmtes Kreuzzugsabschiedslied aus seiner Feder - oder seinem Griffel? - berichten werden. Übet euch also in Geduld ...
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