Sælde und êre - Mittelhochdeutsche Originaltexte

Wie der junge Parzival ein recht erbauliches Bad erfährt ...

Die berümten Bademädchen der Wenzelsbibel nehmen sich ihres beneidenswerten Königs an; Ende 14. Jhdt.

Also einmal mehr ein kurzer Ausschnitt aus Wolfram von Eschenbachs Parzival. Als tiefgründig und vieldeutig haben wir dieses Werk an anderer Stelle bezeichnet - was zweifellos richtig ist und möglicherwiese, nebst der Tatsache, dass Wolframs Texte ob der so zahlreich verwendeten französischen Lehnwörter vergleichsweise schwieriger zu lesen sind als etwa die eines Walthers oder Wirnt, den einen oder anderen unserer Leser vor der Lektüre zurückschrecken lassen könnte.

Wer will sich schließlich nach einem langen harten Arbeitstag, erledigt wie man ist, noch mit Tiefsinnigem belasten? Viel, viel nötiger braucht es für den hartschuftenden Mann da Stunden der Muße und Entspannung. Die Couch, oder - besser noch! - gleich ein warmes, wohlduftendes Bad, auf das sich die schmerzenden Glieder lockern mögen. Aber halt! Aufgehorcht! Wie denn nu ein soches Entspannungsbad aussehen sollte, davon gibt uns ausgrechnet Wolfram im 'Parzival' Kunde ...

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Parzival (I,3/167)

....
da gebot der berühmte Fürst,
dass ihm ein Bad bereitet werde
um die Mitte des Vormittags
vor dem Teppich, auf dem er lag.
Das musste morgens so sein!
Obenauf warf man Rosen.
Wie wenig man auch um ihm lärmte,
erwachte der Gast doch aus seinem Schlaf.
Der anmutige junge Mann
setzte sich in die Badekufe.
Ich weiß nicht, wer sie herbefahl:
Jungfrauen in prächtigen Gewändern
und wunderschön anzusehen,
mit feinsten Manieren, traten ein.
Die wuschen ihn und strichen sogleich
seine Quetschungen hinweg
mit ihren weißen, sanften Händen.
Ja, er brauchte sich nicht elend zu fühlen,
der da der Weisheit Waise war.
So duldete er Wonne und Leichtigkeit.
Seine Einfalt ließen sie ihn nicht büßen.
Die Jungfrauen - keusch und flink
liebkosten sie ihn.
Während sie plauderten,
wusste er wohl zu schweigen.
....
Man reichte ihm ein Badetuch,
das er nicht benutzen wollte:
So schämte er sich vor den Damen,
dass er es vor ihnen nicht umlegen mochte.
Die jungen Damen mussten gehen,
sie durften nicht länger verweilen.
Ich glaube, sie hätten gerne gesehen,
ob ihm nicht weiter unten etwas Böses widerfahren war.
(Denn) Frauen sind treu besorgt,
sie schmerzt der Liebsten Unglück.
....

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Anmerkungen:

... und das in recht frivoler Art, in einer Form, die wir dem angeblich so sinnesfeindlichen, weil ganz aufs Jenseitige ausgerichtete Mittelalter gar nicht zugetraut hätten. (Gut, wenn wir da an manche Texte aus der Carmina Burana denken oder die recht transparent gekleideten Bademädchen der Wenzelsbibel, dann erkennen wir, dass der Mensch wohl auch damals zu genießen wusste ...)

Während aber beispielsweise die Kussszene in der Crone des Heinrich von dem Türlin wegen der Detailverliebtheit der Schilderung fast schon als Bedienungsanleitung für Pupertierende zu betrachten ist (ja, wir wissen es - vom Hörensagen natürlich -, das Internet gibt in dieser Richtung sogar noch mehr her), kommt uns Wolframs Erotik bedeutend subtiler entgegen ...

... und erregt - die Phantasie eines jeden modernen Alltagsrecken. Wie mögen sie wohl aussehen, all die züchtigen jungen Fräulein, wunderschön selbstverständlich eine jde von ihnen, die da an den Badezuber herantreten? Die kichern und tuscheln und zugleich verschämte Blicke nicht ganz verkneifen können. Zum Glück gibt es da noch die Rosenblätter, die obenauf schwimmen ...

Das Hinwegstreichen und -streicheln von Schrammen, Beulen und Blutergüssen können wir uns ja vielleicht noch als eine Art mittelalterlicher Heilmassage denken, doch was man unter keuschen und flinkem Liebkosen zu verstehen hat, das mag in unterschiedlichen Köpfen zu unterschiedlichen Interpretationen führen. Und wenn schon von keusch die Rede ist: So untadelig sind die jungen Damen denn doch wieder nicht, wenn sie dem - zugegebenermaßen recht knackigen - Helden das Badetüchlein just so reichen möchten, dass der sich, um es zu ergreifen, recht blickerbaulich aus der Wanne erheben muss.

'Shoking', würde es da wohl selbst der Queen entfahren, wenn nicht, ja wenn uns Wolfram nicht sogleich versichern würde, dass die jungen Damen ihre Blicke nach unten einzig und allein um ihrer Sorge wegen allfälliger weiterer, bislang unentdeckter Verletzungen und Schrammen des Heldens unter der Gürtellinie lenken wollten. Die guten Dinger, wie sie sich doch sorgen um den Jüngling in der Wanne! Ja, ja, die guten alten Zeiten, manchmal lohnt es sich, einen Blick zurück zu werfen ...

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