'Der wolde herberge nemen ...' - Das Turnier vor Kanvoleis 1
Ein Turnier war stets ein gesellschaftliches Ereignis, das große Aufmerksamkeit zu erwecken vermochte. Doch nicht nur der sport- lich kämpferische Aspekt kam dabei zum Tragen. Vielmehr konnte solche eine Veranstaltung auch dazu benutzt werden um sich den standesgerechten Lebensunterhalt zu sichern oder aber auch dazu, um Politik zu betreiben. Im zweiten Buch von Wolframs Parzival findet sich eine lange Schilderung, aus welcher sich einige interessante Aspekte dieses höfischen Spektakels herauslesen lassen. Der vorliegende erste Auszug befasst sich dabei mit den Vorbereitungen und der Quartierfrage ...
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Parzival (Ausschnitte aus Buch 2)
...
Da hieß auch er Vorbereitungen treffen,
wie meine Erzählung versichert,
mit sorgfältig bemalenen Lanzen,
die mit grünen Stoffstreifen versehen waren.
Eine jede trug ein Banner,
daran drei weiße Anker aus Hermelin,
so dass man über den Reichtum staunte.
Die Banner waren lang und breit
und reichten so bis zum Griff,
von ihrer Befestigung - eine Spanne
unterhalb der eisernen Spitze.
Dem kühnen Mann wurden
hundert solcher Lanzen vorbereitet
und nachgeführt
von den Dienstleuten seines Vetters.
...
Er musste, ich weiß nicht wie lange, nachreiten,
bis er das Lager ritterlicher Gäste ersah
im Lande Valois.
Da war vor Kanvoleis
manch Zelt aufgeschlagen
Was ich euch sage, ist keine Erfindung:
Wenn ihr erlaubt, so ist es wahr.
Er ließ seine Schar halten
und sandte
den klugen Anführer seiner Knappen vor.
Der trachtete, wie ihn sein Herr bat,
eine Unterkunft in der Stadt suchen.
Dazu beeilte er sich.
Die Saumtiere zog man ihm nach.
Sein Auge fand jedoch kein Haus,
das nicht schon ein zweites Dach aus Schilden besessen
und dessen Wände
an allen Seiten voll von Lanzen behangen waren.
...
Oben stand der Palas;
die Königin saß darin
zusammen in den Fenstern
mit mancher Edeldame.
Die beobachteten,
was die Knappen taten.
Die hatten sich beraten
und schlugen ein Zelt auf.
...
Mühevoll wurde das Zelt aufgeschlagen,
das von dreißig Saumtieren getragen werden musste;
das zeugte von Reichtum.
Der Platz war gerade so breit,
dass die Spannschnüre Platz fanden.
Der edle Gachmuret
nahm indes vor der Stadt ein Mahl zu sich.
...
Parzival (Ausschnitte aus Buch 2)
...
Dô hiez ouch er bereiten sich
(sus wert diu âventiure mich)
mit speren wol gemâlen
mit grüenen zindâlen:
ieslîchez het ein banier,
drî härmîn anker dran sô fier
daz man ir jach vür rîchheit.
si wâren lang unde breit,
und reichten vaste unz ûf die hant,
sô mans zem spers îser bant
dâ niderhalp ein spanne.
der wart dem küenen manne
hundert dâ bereitet
und wol hin nâch geleitet
von sînes neven liuten.
...
er streich, ichn weiz wie lange, nâch,
unz er geste herberge ersach
ime lande ze Wâleis.
dâ was geslagen vür Kanvoleis
manc poulûn ûf die plâne.
ichne sage ez iu niht nâch wâne:
gebiet ir, sô ist ez wâr.
sîn volc hiez er ûf halden gar:
der hêrre sande vor hin în
den cluogen meisterknappen sîn.
der wolde, als in sîn hêrre bat,
herberge nemen in der stat.
dô was im snellîchen gâch:
man zôch im soumaere nach.
sîn ouge ninder hûs dâ sach,
schilde waern sîn ander dach,
und die wende gar behangen
mit spern al umbevangen.
...
da ob stuontdetr palas:
ouch saz diu küneginn
ze den fenstern dar inne
mit maneger werden vrouwen.
die begunde schouwen,
waz dise knappen tâten.
die heten sich berâten
und sluogen ûf ein gezelt.
...
mit arbeit wart ûf geslagen
daz drîcec soumaer muosen tragen,
ein gezelt: daz zeigte rîcheit.
ouch was der plân wol sô breit,
daz sich die snüere stracten dran.
Gahmuret der werde man
die selben zît dort ûze enbeiz.
...
Anmerkungen:
Um einiges über die geschichtliche Entwicklung des Turnierwesens zu erfahren, sei der interessierte Leser hier auf die entsprech- ende Artikelserie verwiesen. An dieser Stelle sollen nur einige zusätzliche Bemerkungen zum besseren Verständnis der konkreten Textstellen angebracht werden.
Die Ausschnitte stammen aus dem zweiten Buch des Parzival, in welchem die Geschichte von Gachmuret, Parzivals Vater geschil- dert wird. Als zweitgeborener Sohn des Königs von Anjou verliert er nach dem Tode seines Vaters alle bisherigen Anrechte. So muss er in die Welt ziehen und seine Kampfeskraft verschiedenen Herrschern bereitstellen, um Ruhm und Besitztümer zu erwerben.
Im mittelalterlichen Roman besteht eine Möglichkeit in den Besitz einer Herrschaft zu gelangen darin, einer bedrängten Dame von hohem Stande gegen ihre Widersacher zu Hilfe zu eilen. Idealerweise besitzen derartige Frauen zumeist großen Grundbesitz und sind zudem sehr hübsch. Außerdem - nicht unwesentlich - sind sie alleinstehend ... Eine Dame kann in diesen Zeiten ihren eigenen Besitz und ihre Rechte auf Dauer schließlich nur mit einem Mann an ihrer Seite sichern. Und darin besteht eben die Chance für den tatkräftigen Emporkömmling.
Woher aber soll man eine solchen Wundermann nehmen, wenn der Bedarf danach besteht? Hier ist es ein Turnier, das von der Kö- nigin von Waleis ausgerufen wird. Und der Preis, selbstverständlich für den Sieger, werden ihre Länder und sie selbst sein. Das ist die Ausgangslage in unserem Textauszug. Eher zufällig gerät nun Gachmuret in das Geschehen als er seinen Vetter Kaye, den König Spaniens, besuchen will und dort erfährt, dass dieser zum angesprochenen Turnier gereist ist. Klar, dass sich auch unser Held diese Gelegenheit zur ritterlichen Ertüchtigung und zum Ansammeln von Ruhm und Ehre nicht entgehen lässt. An die Ehe denkt er dabei, aufgrund gewisser vergangener Erfahrungen, vorläufig überhaupt nicht.
Aber Gachmuret ist zu diesem Zeitpunkt schon ein wohlhabender Recke, der es sich leisten kann, mit großem Gefolge anzureisen. Da lesen wir beispielsweise von hundert Turnierlanzen, prächtig verziert, die eigens für das Ereignis angefertigt werden. Daraus erkennt man bereits, dass der Herr einiges vorhat, aber auch, wie aufwendig die standesgemäße Ausrüstung für ein solches Tur- nier sein konnte.
Vor der Stadt eingetroffen, spät (irgendwie erinnert das an unsere eigenen Lageraufbauten bei den meisten Festen), denn die La- ger der anderen ritterlichen Gäste stehen bereits, versuchen die Knappen in Kanvoleis ein geeignetes Quartier zu finden. Doch da besteht natürlich keine Chance mehr darauf, zu voll ist die Stadt. Zum Glück reist der Herr von Stande immer mit einem Notzelt, damit für solche Fälle vorgesorgt ist. Immerhin erweist sich das Ersatzquartier, das da unter den Augen der staunenden Königin aufgeschlagen wird, als prächtiger Zeltpalast, für dessen Transport dreissig Saumtiere benötigt werden. Und während die Knappen mühevoll beim Aufbau schuften (ja auch das weckt eigene Erinnerungen), gönnt sich der Herr Ritter vor der Stadt indes noch ei- nen kleinen Imbiss ehe er daran denken wird, einzureiten und seine Unterkunft zu beziehen. Tja, wenn erst einmal der soziale Sta- tus passt, dann lässt es sich wohl leben ...
Wer denn nun mehr über den Verlauf dieses Turneis zu erfahren wünscht, der muss sich bis zum Erscheinen der Fortsetzung gedul- den. Oder aber, sofern ihn nun die Spannung zuviel plagt, sich das Buch selbst zu Gemüte führen ...
Weiter zum zweiten Teil der Turnierschilderung ...
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