Zurück zur Bibliotheksseite, zum Anschlagbrett, oder zur Hauptseite
Thietmar von Merseburg und Lampert von Hersfeld:
'Chronik' und 'Annalen'
Für den Geschichtsinteressierten ist es nicht selten von Interesse, neben den (stets bewertenden) Publikationen zeitgenössischer Historiker und Fachautoren auch den Zeitgenossen der interessierenden Epochen selbst das Ohr respektive das lesende Auge zu leihen. Glücklicherweise finden sich auch im Buchhandel mehr und mehr Veröffentlichungen, die solches ermöglichen - man denke dabei nur an solche Verlage wie Phaidon, de Gruyter oder den Deutschen Klassiker Verlag (neben anderen mehr ...)
Zu letzteren zählt auch die Wissenschaftliche Buchgesellschaft WBG mit ihren zweisprachigen Freiher-vom-Stein-Gedächtnisausgaben (bei diesem Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein handelte es sich um einen preussischer Politiker des 19. Jahrhunderts, der sich mit der Initiative zur Gründung der Monumenta Germaniae Historica, also der wissenschftlichen Edition mittelalterlicher Quelltexte, hervorgetan hat) -, von denen wir vor geraumer Zeit mit der 'Geschichte der zwei Staaten' des Otto von Freising bereits einen Titel vorgestellt haben.
In identischer Aufmachung, wenn auch von etwas geringerem Umfang als des berühmten Bischofs und Geschichtsschreibers Chronik, sind in besagtem Verlag auch zwei weitere Geschichtswerke bekannter mittelalterlicher Autoren erschienen, nämlich die 'Chronik' des Thietmar von Merseburg und die 'Annalen' des Lampert von Hersfeld.
Identische Aufmachung meint, dass in den Veröffentlichungen neben Einleitung, Bibliographie und ausführlichem Register jeweils der lateinische Originaltext besagter Werke zu finden ist und - begleitend auf der Nebenseite - eine deutsche Überetzung (wodurch, nebstbei bemerkt, die Lektüre im Lateinteil bei der Mehrzahl der Leser nicht eben gefördert werden dürfte ...). Nicht finden wird man darin Abbildungen, was aber ohnehin nicht im Sinne dieser Ausgaben liegt, die uns ja vorangig einen Zugang zu Originaltexten ermöglichen sollen. Als angenehmen Nebeneffekt dieses Verzichtes (der eigentlich keiner ist) dürfen wir hier noch die äußerst moderate Preisgestaltung nennen, die sich für alle drei Bände der Reihe im Bereich zwischen zwanzig und dreißig Euros bewegt ...
Aber nun zu den Neuen: In der zeitlichen Chronologie folgt zuerst Thietmar von Merseburgs Chronik. Thietmar (975 - 1018), Bischof des sächsischen Merseburg, entstammte wie weitaus meisten Inhaber des zeitgenössischen Episkopates einer adeligen, nämlich gräflichen Familie. In seiner Amtszeit zeichnete er sich weniger sowohl durch politische Bedeutung als auch ausgezeichnete Missionstätigkeit gegenüber der slawischen Bevölkerungsschicht aus; vielmehr erscheint er uns Heutigen durch die acht Bücher seiner 'Chronik' bedeutsam.
Thietmars Absicht, die Geschichte der Stadt Merseburg und die 'Lebenswege und Taten der frommen Könige Sachsens' zu beschreiben, machen seine Chronik - auch weil er sich über die Vorkommnisse seiner Zeit gut unterrichtet zeigt - zu einer (der?) Hauptquelle über die Ottonenzeit, nicht nur die Verfassung und die Mentalität dieser Epoche betreffend, sondern auch die politischen Geschehnisse, für die er neben die Berichte der Zeitgenossen auch auf vielfältige Quellen (etwa Widukind von Corvey) zurückgreifen konnte. So findet sich in seiner Chronik, die im Wesentlichen die Zeitspanne vom Ottonen Heinrich I. bis zu Heinrich II. umfasst, ein Bericht über die Lechfeldschlacht ebenso wie solche über diverse Slawenaufstände, Polenfeldzüge, mancherlei Schauer- und Morggeschichten aus der damaligen Reichs-High Society, aber auch viel (reichs-)kirschengeschichtlich Relevantes ...
Lampert von Hersfelds Annalen wiederum, welche uns der zweite Band, den wir hier erwähnen wollen, bereitstellt, bieten uns vor allem für den Zeitraum von 1040 bis 1077 einen großen Detailreichtun der damaligen Geschehnisse, insbesondere des sich gerade auf seinem ersten Höhepunkt befindlichen Investiturstreites, dessen Hauptprotagonisten Papst Gregor VII und König (später Kaiser) Heinrich IV waren.
'Da kam der König, wie ihm befohlen worden war, und da die Burg von drei Mauern umgeben war, wurde er in den zweiten Mauerring aufgenommen, während sein ganzes Gefolge draußen blieb, und hier stand er nach Ablegung der königlichen Gewänder ohne alle Abzeichen der königlichen Würde, ohne die geringste Pracht zur Schau zu stellen, barfuß und nüchtern vom Morgen bis zum Abend, das Urteil des Papstes erwartend.'
(Heinrich der IV vor Canossa, Ausschnitt aus den 'Annalen' des Lampert von Hersfeld)
Dabei zeigt Lampert (1028 - um 1084) eine entschiedene Parteinahme für die Position des Papsttums, was sich vor allem in der Darstellung des besagten Investiturstreites (und in der Schilderung des berühmten 'Canossaganges') äußert, und als entschiedener Gegner Heinrichs VI - was ihm von seiten der Forschung des Öfteren den Vorwurf mangelnder Objektivität einbrachte. Nichtsdestotrotz liefert uns sein Werk eine Fülle faszinierender Einblicke in die damaligen Geschehnisse ...
Unsere abschließende Empfehlung für alle an jenen Epochen Interessierte lautet: Raus aus der Couch, auf zum nächsten Buchladen (allemal besser als übers Internet zu bestellen; schließlich kann man im Buchlden blättern, schmöckern, an den Seiten schnuppern ...) - kaufen und lesen; wer mag, sogar im originalen Latein ...
Zurück zur Bibliotheksseite, zum Anschlagbrett, oder zur Hauptseite
© 2014, Gestaltung und Inhalt: H. Swaton - alle Rechte vorbehalten