Sælde und êre - Originalwerke

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Libre del orde de cavayleria

Hintergründe und zeitgeschichtliches Umfeld:

Ebenso wie das bereits in einem eigenen Artikel beschriebenen französischen Lehrgedichtes Ordene de chevalerie stellt auch das Libre del orde de cavayleria eine Abhandlung über das Rittertum dar. Während aber das erstgenannte Werk, das etwa um 1250 entstanden sein dürfte, hauptsächlich die Zerimonie zum Inhalt hat, welche der Anwärter zu durchlaufen hat, um in den Ritterstand einzutreten, befasst sich Llulls Schrift, deren Entstehungszeit um 1270 anzusetzen ist, mit den Voraussetzungen und den Pflichten, die ein Ritter mitzubringen und zu erfüllen hat.

Während jedoch über den Autor des Ordene de chevalerie kaum etwas bekannt ist, wissen wir über den um 1235 geborenen Katalanier Ramón Llull, den Verfasser des Libre del orde genauer Bescheid. Sein Vater war Ritter und ein Gefolgsmann König Jaimes von Aragón, des 'Eroberers', und hatte sich an der Vertreibung der Mauren aus Mallorca beteiligt.

Schwertleite: Drei Knappen werden mit dem Schwert gegürtet - Abbildung aus einer französischen Handschrift des 13. Jahrhunderts.

Ramón trat ebenfalls früh in königliche Dienste ein, lebte am Hof und genoss eine gründliche Ausbildung. Er wurde Gefolgsmann und später Seneschall des designierten Thronfolgers Jaime des Jüngeren. In seinen Ju- gendjahren führte Ramon ein höfisches, abenteuerliches Leben. Er zeichnete sich durch ritterliche Fertigkei- ten aus und schrieb Lieder nach Art der Troubadours. Obwohl verheiratet, in einer Ehe der zwei Kinder ent- stammten, schien er doch die Minnelyrik seiner Lieder ausgelebt zu haben, waren doch diese Lieder den jeweiligen (wechselnden) Damen seines Herzens gewidmet. 'Die Schönheit der Frauen, o Herr war Plage und Drangsal für meine Augen', soll er später gestanden haben.

1263 erlebte er während der Arbeit an einem neuen Lied die mehrfach wiederkehrende Vision des gekreu- zigten Christus, was schließlich zu einer vollständigen Umkehr seines Lebenswandels führte. Als seine zu- künftige Aufgabe sah er die Bekehrung der Muslime zum Christentum. Dafür versenkte er sich in Studien, lernte Latein und das Arabische und begann im Franziskanerkolleg von Miramar zu lehren. Er unternahm Pilger- und Bildungsreisen, auch in die arabische Welt und stellte seine Schreibkunst fortan in den Dienst des christlichen Glaubens.

Er wurde rasch zu einem bedeutenden Gelehrten, zum Erzieher von König Jakob II., zum Vortragenden der Philosophie an der Pariser Universität, zum Befürworter für die Einrichtung von Lehrstühlen für Hebräisch, Arabisch und Kirchen-Syrisch.

Bereits hochbetagt machte er sich 1315 im Auftrage Jakob II. auf eine Reise nach Tunis, wo er schließlich durch eine wütende Menge gesteinigt wurde, welche seine Bekehrungsversuche nicht erdulden wollte. So gelang es ihm, dem Achtzigjährigen, noch zum Märtyrer zu werden.

In seiner Jugend selbst Ritter, der ein glänzendes Leben am Hofe führte, wusste Llull wovon er sprach, als er mit seinem Werk Forderungen an die Ritterschaft aufstellte - wiewohl fraglich bleiben muss, in welchem Maß er denn selbst alle diese strengen Verhaltensregeln selbst stets eingehalten hat ;-) Obwohl die Schrift erst nach seiner 'Bekehrung' entstand, billigt er dem Kriegerstand durchaus Betätigungen zu, welche die offizielle Kirche seiner Zeit verbot: So soll sich der Ritter in Tjosten und Turnieren ertüchtigen und sich auf der Jagd von von seinen Pflichten erholen.

Der neue Ritter empfängt seine Ritterwürde in der Kirche, anders als im Ordene de chevalerie, in dem die- ser Vorgang ein säkulärer war, dennoch billigt Llull dem Ritterstand eine von der Kirche unabhängige Da- seinsberechtigung zu, die in der Erhaltung von Gesetz und Recht liegt. Vielleicht wurde sein Werk auch des- halb äußerst erfolgreich, in viele europäische Sprachen übersetzt und bis ins 16. Jahrhundert hinein abge- schrieben und sogar gedruckt. Man könnte es, mit Ausnahme des deutschen Sprachraumes, in dem es nicht bekannt wurde, als die klassische Abhandlung über das Rittertum bezeichnen ...

Zum Inhalt des Werkes :

Die Schrift, deren umfangreicher und komplexer Inhalt hier nur andeutungsweise wiedergegeben werden kann, beginnt mit einer Rahmenhandlung: Ein Knappe, der sich auf dem Weg zum Königshof befindet, wo er den Ritterschlag empfangen soll, verirrt sich im Wald und kommt zur Zelle eines betagten Einsiedlers. Dieser, ein ehemaliger Ritter, hat sich nach langem, kriegerischem Leben hierher zurückgezogen, um seine letzten Tage in frommer Einkehr zu verbringen.

Der Knappe berichtet von seinen Absichten, doch der Alte bemerkt, dass sein Gast über die Pflichten als zu- künftiger Ritter nur schlecht Bescheid weiß. Daraufhin greift er zu einem Büchlein, woraus er dem Jüngling über die Bedeutung des Rittertums vorzulesen beginnt. Zu guter Letzt schenkt er dem Knappen das Buch, mit dem Auftrage, es an den Königshof zu bringen und dort all jenen zu zeigen, die zum Ritter gemacht wer- den sollen. Unschwer ist im Eremiten Llull selbst zu erkennen, im Büchlein hingegen sein eigenes Werk.

Das Büchlein beginnt mit einem Bericht über die Herkunft des Rittertums: Als nämlich nach dem Sündenfall des Menschen Krieg, Verbrechen, Ungerechtigkeit und Unruhen in der Welt aufkamen, wurden die Ritter dazu eingesetzt, das Volk in den Schranken zu halten und es zu beschützn. Ein Mann unter tausend, 'der treu- este, stärkste, und der von edelstem Mut' wurde zum Ritter - miles - erwählt. Dieser Mann war versehen mit dem 'edelsten aller Tiere', dem Pferd, und der besten Bewaffnung. Ein Knappe stand ihm zu Diensten und das gemeine Volk war ihm untertan und hatte Feld und Acker zu bestellen, um ihn zu unterhalten.

Von diesem Ursprung her reiche das Rittertum bis in die Gegenwart, so Llull weiter, und die Pflicht eines je- den Ritters bestehe darin, seinen Sohn von Kindesbeinen an für die Erfüllung jener Aufgaben zu erziehen, für die der Ritter vorgesehen sei. Dabei soll aber nicht nur auf das Erlernen von Reitkunst und Waffenhandwerk geachtet werden, sondern auch auf die Einhaltung moralischer Grundsätze geachtet werden.

So sei die vornehmste Pflicht des Ritters, den christlichen Glauben gegen die Ungläubigen zu verteidigen. Aber auch seinen weltlichen Herrn muss er notfalls mit dem Leben schützen, wie auch die Schwachen, die Frauen, die Witwen und Waisen. Stets soll er seinen Körper üben, damit er sich diesen Aufgaben gewachsen zeige; durch die Jagd auf Hirsch, Eber und Wolf, durch die Teilnahme an Tjosten und Turnieren. Im Dienste des Königs soll er über das Volk zu Gerichte sitzen und seine Tätigkeit überwachen. Der Ritter muss bereit sein, von seiner Burg herab die Straßen zu sichern und Räuber und Übeltäter zu verfolgen und zu bestrafen.

Dabei hat er aber auch stets jene Tugenden zu schulen, die er für die richtige Erfüllung derartiger Aufgaben benötigt: Weisheit, Nächstenliebe, Treue, Ehre, Stolz und Mut, denn 'Rittertum wohnt an keinem Ort so ger- ne wie in der noblesse des Mutes'.

Hingegen hat der Ritter Meineid, Müßiggang, Wollust und insbesondere Verrat zu meiden. (Man denke in diesem Zusammenhang etwa an Harmanns Erec, in welchem der Titelheld die Ehre verliert, weil er sich mit seiner Gattin 'verliegt' - also allzusehr dem angenehmen Müßiggang frönt und darüber seine Pflichten ver- gisst - Obwohl von relativ großer zeitlicher und geografischer Distanz zu Llulls Werk, kommt in diesem mit- telhochdeutschen höfischen Roman doch der selbe Wertekatalog zur Anwendung.

Wenn nun ein Ritter von all diesen positiven Eigenschaften sich formen lässt, dann wird er zu einem Mann von höfischer Art werden, der vornehm gekleidet ist, treu und wahrheitsliebend, körperlich in guter Form, bescheiden und freigiebig und ein gastfreies Haus im Rahmen seiner Möglichkeiten führt.

Ein zentrales Kapitel des Werkes befasst sich mit den Prüfungen, der sich ein nach der Ritterwürde streben- der Knappe zu unterwerfen hat, damit denn sichergestellt werde, dass er die rechten Voraussetzungen mit- bringe. Er muss körperlich gewandt sein, das richtige Alter besitzen, von edler Herkunft und mit ausreichend Reichtum ausgestattet, um ein standesgemäßes Leben führen zu können. Außerdem soll er befragt werden, warum er denn zum Ritter werden möchte und der Befragende soll darauf achten, ob denn Tapferkeit und adelige Haltung vorhanden sind.

Wenn dann der Knappe alle diese Prüfungen zur Zufriedenheit bestanden hat, dann soll es ihm erlaubt wer- den in den Ritterstand zu treten, dies wenn möglich an einem der hohen kirchlichen Feiertage Ostern, Pfing- sten oder Weihnachten. Danach finden sich die bekannten Stichworte, wie denn die Zerimonie abzulaufen hätte: Beichte, durchwachte Nacht mit Gebet und Einkehr in der Kirche, gemeinsames Hören der Messe durch alle Anwärter, Erhalt der Zeichen der Ritterwürde, Waffen und Sporen, durch einen erfahrenen Ritter vor dem Altar ...

Nachdem nun soviel über all die positiven Eigenschaften geschrieben wurde, welche ein Ritter aufweisen sollte, möge der Leser entschuldigen, wenn an dieser Stelle mit dem Artikel abgebrochen wird. Aber der Au- tor desselben hat gerade beschlossen, mehr und mehr von den hohen Anforderungen frustriert, das Schreib- pult zu verlassen um sich auf dem Hometrainer zu begeben und dort Ertüchtigung zu betreiben ...

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