Sælde und êre - Mittelhochdeutsche Originaltexte

'Gachmuret stach hinderz ors manegen werden man ...' - Das Turnier vor Kanvoleis 5

Ritterliches Stechen - Illustration zum Parzival, Werkstatt Diebold Lauber, um 1445

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Er ist schon ein wenig angegraut - Gachmuret nämlich, der nach Ruhm und Ehre heischende König von Zazamanc, werdender Vater des uns allen bekannteren Gralssuchers Parzival. Solltet ihr euch noch erinnern - doch nein, das werdet ihr nicht, denn es ist nun schon einige Jahre her, dass wir ihn inmitten der Vorbereitungen zum Kampfe befindlich, auf dem Feld vor Kanvoleis zurückließen -, solltet ihr euch trotzdem noch erinnern, dann ....

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Parzival (I,2,74ff)

...
Er sprang auf (das Roß), denn dafür stand es bereit.
Viele starke Speere hatte des Helden Hand
in Kürze verbraucht.
Die Angriffe führte er
immer mittendurch und auf der anderen Seite hinaus,
dem Anker folgte der Strauß!
Gachmuret stach hinters Roß
den Poytwin de Prienlascours
und noch manch anderen Edlen,
der sich ihm ergeben musste.
Alle das Kreuz (der Armut) tragenden Ritter aber,
zogen Nutzen aus seinen Heldentaten;
die Pferde, die er gewonnen, die gab er ihnen:
an seiner Seite war großer Reichtum zu gewinnen.
Gleiche Banner,
führte man gegen ihn, viere an der Zahl
(kühne Rotten ritten unter ihnen;
ihr Herr verstand sich aufs Kämpfen);
auf jedem war ein Greifenschwanz zu sehen.
Der hintere Teil des Schweifes war
ein Hagel an Ritterschaft.
Den vorderen Teil des Greifen
trug der König von Gascogne
auf seinem Schild, ein erfahrender Ritter.
So prächtig geschmückt war er,
dass er vor den Frauen wohl bestehen konnte.
Er sprengte den seinen voraus,
als er den (Helm mit dem) Strauß entdeckte.
Doch kam zuvor der Anker an ihn.
Dort stach ihn hinters Pferd
der edle König von Zacamanc
und nahm ihn gefangen; da entstand großes Getümmel.
Hohe Furchen plattgetreten,
mit Schwertern kräftig durchgekämmt
Ein ganzer Wald (an Lanzen) wurde verschwendet
und manch Ritter gefällt!
Sie schleppten sich (so hört' ich's sagen)
nach hinten, wo die Feiglinge die Stellung hielten.
Der Kampf war so nahe,
dass die Frauen sehen konnten,
wem die Ehre zukam.
Der Liebesjäger Riwalin,
von dessen Speer schneite frisches Weiß,
er war der König von Lohneis.
Krachend schallten seine Anläufe!
Morholt entriss ihnen (der Partei Gahmurets) einen Ritter,
aus dem Sattel hob er ihn vor sich
(das war ein rauer Streich).
...
Da lüstete es diesen ungefügen Burschen,
ihn ohne Schwert zu überwinden,
und so nahm er den edlen Helden gefangen.
Vom Pferd schleuderte Kaylets Hand
den Herzog von Brabant;
der Fürst hieß Lambekin.
Was taten nun die Seinen?
Sie schützten ihn mit ihren Schwertern;
Helden, gierend nach Kampf!
Da stach der König von Arragon
den alten Utepandragun
hinters Pferd auf den Plan,
den König der Bretagne.
Da standen auf einmal viel Blumen um ihn.
Ach, bin ich nicht nett,
dass ich den edlen Bretonen
so bequem dorthin vor Kanvoleis lege,
wo noch nie ein Bauernlümmel seinen Fuß hinsetzte
und (wie ich's euch versichere)
auch fürderhin nicht leicht setzen wird.
Er brauchte nicht länger zu sitzen
auf dem Ross, worauf er gesessen war.
Doch vergaß man nicht auf ihn;
die, die an seiner Seite stritten, beschützten ihn,
da blieb ein mächtiges Getümmel nicht aus!
...

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Anmerkungen:

... ja dann wisst ihr, dass es der große Wolfram von Eschenbach ist, der uns, ehe er uns mit dem jungen Toren Parsival auf die Suche nach dem Gral schickt, von den Abenteuern seines Vaters berichtet, die - so traurig kann das ritterliche Leben manchmal sein - aus Herzeloyide eine Witwe und aus dem noch gar nicht Geborenen eine Halbwaise. Aber was soll das Lamentieren? Tun das etwa jene Recken, die sich mit wilder Begeisterung von den Rössern wuchten, die Speere in solcher Zahl an ihren Heldenbrüsten splittern und brechen, dass die Kampfbahn schon am frühen Nachmittag mehr dem Boden einer mit Sägespänen überzuckerten Tischlerei ähnelt als einem Turnierfeld.

Ja, denn diesmal ist es soweit - diesmal greift Gachmuret selbst in den Kampf ein, seinem Vetter Kaylet zu Hilfe eilend, nachdem er zuvor nur beobachtet und sich prächtigst bekleiden hat lassen. Alle Augen sind auf ihn gerichtet, den Fremden, der seinen Einzug ins festliche Kanvoleis mit so großem Aufwand bestritten hat. Und glaubt uns - es wird sich gelohnt haben für die Damen, so lange auszuharren, denn was sie nun zu sehen bekommen ...

Doch halt - da gibt es noch einige kleine Details, auf die wir rückgreifend hinweisen wollen, ehe wir uns dem obigen Text selbst zuwenden wollen: In der letzten Folge musste sich unser Held erst rüsten. Mit dem Harnisch seiner in der Heimat treu auf ihn harrenden Gattin; den hatte sie, so sagt uns Wolfram, als Sühnegabe erhalten von einem Herrn Friedebrand, der obwohl Schotte, gar nicht so geizig zu sein scheint, wie es seinem Volksstamm gemeinhin nachgesagt wird.

Der hatte nämlich einst in einem kriegerischen Einfall ziemlich Verwüstungen angerichtet - wohl das übliche Standardprogramm für einen Adeligen auf Fehde: Weinberge verwüstet, Obstbäume gefällt, Dörfer gebrandschatzt, vielleicht auch die eine oder andere Bäuerlein aufgespießt und das Töchterlein ... - und die ersetzte er durch einen Harnisch. Für uns ein Hinweis, wie kostbar eine solche Rüstung damals zu Wolframs Zeiten wert gewesen sein muss. Oder wie wenig wertvoll das Leben der Hintersassen ...

Aber man möge den Herren keinesfalls eine ehrliche soziale Ader absprechen. Denn zumindest für ihresgleichen schlug schon das eine oder andere große Herz. Hat sich denn der Herr Gachmuret nicht vielleicht auch aus dem Grund so viel Zeit bei der Ankleide gelassen, um den armen, mittellosen oder weniger begüterten Rittern, von denen auch die Rede war, die Chance zu geben, sich durch Siege in den Vorkämpfen die finanzielle Situation zu verbessern? (Wir hörten im dritten Teil dieses Beitrags davon) Schließlich erntete der Gewinner Ross und Ausrüstung des Unterlegenen. Natürlich wusste ein solch armer Schlucker, was sich gehörte - im Kampf um den Siegespreis, die Hand nämlich der Königin von Valois, waren nur die hohen Herren involviert.

Und doch zeigt sich Gachmuret den kleinen Rittern gegenüber großzügig: Die Beute, die ihm sein unwiderstehlicher Siegeszug durch die wild sich jagenden Haufen einbringt, überlässt er den angesprochenen armen Schluckern, die sich an ihn halten. Er selbst nimmt auch es mit den Besten von den Besten, die im mittelalterlichen Epos natürlich stets die großen Herren sind, auf. So wie überhaupt die Edlen immer auf ihresgleichen schielen.

Zwei Gruppen, die sich bekämpfen - ja, wir brauchen es nicht zu betonen, es handelt sich um einen Buhurt, also ein Gruppengefecht, auch wenn Herr Wolfram an anderer Stelle vom Tjostieren spricht -, große Herren mit Gefolgschaft. Taktik! Hetzen und Jagen. Abdrängen und zu Fall bringen! Stürzt einer dieser Mächtigen, eilen die Getreuen seines Gefolges herbei, scharren sich um ihn; Ritter, Knechte, Knappen werfen sich vor den Gefallenen, suchen ihn zu schützen, während die Kämpfer der anderen Gruppe, im Bestreben einen Gefangenen zu machen, nur umso mehr drängen. Erinnert uns das nicht an - wirklich nichts Neues unter der Sonne - an die homerischen Helden, wie sie sich vor Illion um die Gemeuchelten balgen, an deren Armen und Beinen zerren, die wertvolle Rüstung im Auge?

Hurta, hurt! Krachende Speere, wiehernde Rösser, ein wildes Stechen und Hauen! Adrenalin und Testosteron sättigen die Luft, an den Mauern und Zinnen der nahen Stadt drängeln sich aufgeregt die Damen; Ahh und Ohh, Bangen und Zittern - muss das nicht das Paradies auf Erden sein für unsere wackeren Rittersleut? Doch noch ist noch nicht Abend, noch sind die Sieger nicht gekürt - vergessen wir nicht, es wartet, wie immer in solchen Geschichten (und nur in diesen, denn in der Realität wurden wertvolle Königstöchter nicht solcherart vergeben), das Land, die Hand und das Bett der schönen Königin. Darauf aber, diesen Ausgang zu erfahren, müssen wir euch noch vertrösten ...

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